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Publikationsorgan des Monats: Mai '25

Das Revolutionsblatt der demokratischen Linken

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Erste Ausgabe der Deutschen Reichstagszeitung, Mai 1848.
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Publikationsorgan des Monats: „Deutsche Reichstagszeitung“ (1848-1849)

Während des Revolutionsjahres 1848 und der sich überstürzenden Ereignisse waren tagesaktuelle Informationen besonders begehrt. Hatten die harschen Zensurbestimmungen des Deutschen Bundes die öffentliche Kommunikation im sogenannten Vormärz trotz aller publizistischen Umgehungsstrategien noch spürbar eingeschränkt, erklärte der Bundestag „die Presse“ Anfang März für frei. Der Medienkonsum stieg sprunghaft an, das Angebot an Presseerzeugnissen explodierte geradezu und die Publizistik erfuhr eine beispiellose Politisierung. Diese Entwicklungen in der Presselandschaft waren dabei eng mit der Ausbildung eines Parteiensystems verknüpft, das in Deutschland erst durch die Dynamiken der Revolution festere Gestalt annahm. Nachdem die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche am 18. Mai 1848 erstmalig zusammengetreten war, etablierten sich rasch einige neue Zeitungen, die von einzelnen Abgeordneten stellvertretend für deren Fraktionen herausgegeben wurden. Ihnen ging es nicht nur darum, die Leserschaft über das Tagesgeschehen im ersten deutschen Parlament zu informieren. Vielmehr stellten sie zugleich Versuche einer eigenen parteipolitischen „Pressepolitik“ (Wolfram Siemann) dar. Die Deutsche Reichstagzeitung, die „täglich und zwar eine Stunde nach der Sitzung [erscheint], deren Berichte sie also zuerst und vollständig bringt“, nahm unter diesen Fraktionsblättern eine Vorreiterrolle ein. 

Federführend herausgegeben wurde die Deutsche Reichstagszeitung von dem Frankfurter Abgeordneten Robert Blum zusammen mit dessen Kollegen Johann Georg Günther und – bis Ende August 1848 – Wilhelm Schaffrath. Während Blum und Günther der Fraktion des „Deutschen Hofes“ angehörten, die für ein allgemeines Wahlrecht und einen starken Parlamentarismus eintrat, war Schaffrath Mitglied in der radikaleren, plebiszitär ausgerichteten Fraktion „Donnersberg“. Insgesamt war die Zeitung damit ein Organ der demokratischen Linken, die im Kampf um die Zukunft Deutschlands nicht nur gegen die konservativ-legitimistischen Kräfte im Parlament, sondern auch gegen die Pläne einer konstitutionellen Monarchie des Liberalismus mobilisieren wollte. „[D]ie Grundsätze der Linken“ sollten „klar und deutlich“ ausgesprochen, „die Interessen der Demokratie überall“ wahrgenommen und gefördert werden, so der Selbstanspruch des Blattes. 

Der angeschlagene Tonfall war dabei durchaus scharf, wie ein Bericht vom 28. Dezember 1848 über die Verabschiedung der Grundrechte illustriert. Hatte sich die Mehrheit der Abgeordneten für den Erhalt des Kaisertums ausgesprochen, sah die Deutsche Reichstagszeitung die „Volkssouveränität […] geradezu mit Füße getreten“. Die „Majestät und Unwidersprechlichkeit des Volkswillens“ war seit der ersten Ausgabe zentrales Leitmotiv des Blattes, mit dem gegen alle vermeintlich gegenrevolutionären Kräfte mobilisiert und die Erfolge der Revolution erklärt wurden. So lobte es zwar den ersten Präsidenten der Nationalversammlung, Heinrich von Gagern, ein konstitutionell-monarchisch eingestellter Liberaler, dafür, dass er seine Amtsausübung an die „Machtvollkommenheit des deutschen Volkes, die sich in seinen gewählten Vertretern aussprechen wird“, geknüpft hatte. Zugleich warnte sie aber, dass die Volkssouveränität „ein bloßer Begriff, ein leerer Name“ bleibe, sofern sie nicht in tatsächliche Beschlüsse gegossen und politisch ohne „Gaukelei“ umgesetzt werde. 

Dass die Nationalversammlung sich schlussendlich für die kleindeutsche Option und den Ausschluss Österreichs aus dem zukünftigen deutschen Staat entschied, war für die mehrheitlich großdeutsch ausgerichteten Linken ein herber Rückschlag. Es gebe nun „kein gesamtes Deutschland mehr“, konstatierte sie ernüchtert. Der verabschiedete Grundrechtskatalog, „im blutigen Kampf“ herbeigeführt, erschienen angesichts dieser Schlappe immerhin als „mindestens Etwas“, das „höchstwahrscheinlich das Einzige bleiben [werde], was das deutsche Volk durch seine ‚glorreiche‘ Märzrevolution gewonnen hat“. Der Umstand, dass sich die demokratische Linke gegenüber den konservativen und liberalen Verfechtern der Monarchie am Ende nicht durchsetzen konnte, brachte die Zeitung mit ihrem starken ideologischen Zuschnitt auf die „Volksgewalt“, die zum maßgeblichen Akteur der Revolution verklärt worden war, allerdings in Erklärungsnot. Jetzt war es ausgerechnet das „Volk“, das von seiner „Gewalt unzureichenden Gebrauch gemacht“ und „sich von seinen Feinden übertölpeln lassen“ habe. 

Die Hinrichtung Robert Blums am 9. November 1848 in Wien, nachdem dieser am Oktoberaufstand gegen die kaiserlich-österreichischen Truppen teilgenommen hatte, traf sowohl die Zeitung als auch die demokratische Linke schwer. Über eine Woche lang war das Leben und Wirken Blums das Kernthema der Ausgaben. Diese inszenierten ihn als Märtyrer für das „deutsche Volk“ und die Sache der Revolution. Nicht ohne Grund druckte die Zeitung am 16. November posthum ein Gedicht aus der Feder Blums, in dem er seine anstehende Hinrichtung als Selbstopfer für die „Freiheit“ heroisierte: „Der Freiheit gilt mein Leben – ?! / Und nicht gezaudert, nicht gezagt, / Für sie es hinzugeben – ?“ Seinen Feinden versicherte er siegesgewiss, dass sein Tod nichts am freiheitlich-demokratischen Streben des „Volkes“ ändern werde: „Ihr wollt mein Blut? So nehmt mein Blut! / Doch eines laßt mich sagen: / Der Freiheit Leben – höchstes Gut – / könnt Ihr nicht mit erschlagen“ […] „Ihr wollt mein Haupt? So nehmt mein Haupt! / Doch wisset, die Gedanken, / Hier aufgekeimt, im Volk geglaubt / Sie werden vorwärts ranken –“. Für die Deutsche Reichstagszeitung, sich selbst als geistigen Sachwalter Blums sehend, war trotz dieser Versicherung dennoch bald Schluss. Ab 1849 zunächst unter anderem Namen erscheinend, wurde sie nach dem Ende der Revolution bereits 1850 eingestellt.

Die Deutsche Reichstagszeitung ist eine unverzichtbare historische Quelle, um die Debatten und Entscheidungen der Nationalversammlung in der Wahrnehmung der demokratischen Linken während der Revolution von 1848/49 zu rekonstruieren. In der Arbeitsstelle für Geschichte der Publizistik ist sie von Oktober 1848 bis zum 2. April 1849 als Mikrofilm einsehbar.

Diese Ausgabe des Publikationsorgans steht hier zum Download (als PDF) zur Verfügung.

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