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Tutorial Geschichte Kölns im Mittelalter

Frühes Deutsch in Kölner Zeugnissen


Vorweg: Zur Bedeutung des Lateinischen

Die zentrale Schrift- und überregionale Verkehrssprache war im christlichen Europa des Mittelalters das Lateinische, das daher auch in den zu Köln überlieferten Quellen bis in die Frühe Neuzeit hinein selbstverständlich blieb. Als eine lebendige Sprache, die in den gelehrten Kreisen auch mündlich beherrscht wurde, unterscheidet sich dieses Mittellatein weniger grammatikalisch als vielmehr in der Graphie und vor allem im Vokabular vom klassischen Latein. Der Forschungsbegriff ‚Mittellatein‘ ist dabei ein Sammelbegriff für plurale, heterogene Formen der lateinischen Sprache, die sich beeinflusst sowohl von der jeweiligen Muttersprache der Autoren als auch immer wieder durch die Beschäftigung mit der antiken Literatur weiter entwickelten. Trotz dieser aus den verschiedenen Volkssprachen eingeflossenen Besonderheiten zerfällt das Mittellatein allerdings nicht in Dialekte oder Regionalsprachen, sondern weist eine horizontale Gliederung nach Stilniveau auf, die von umgangssprachlicher, kolloquialer, pragmatischer Diktion bis zu hochrhetorischer oder dichterischer Stilisierung reicht. Hilfsmittel für Übersetzungen finden Sie daher auch nicht hier, sondern im Leitfaden zum Studium der mittelalterlichen Geschichte.


Erste deutschsprachige Zeugnisse seit dem 12. Jahrhundert

Erste deutschsprachige Zeugnisse begegnen für Köln zuerst als vereinzelte Einträge in die lateinischen Schreinsbücher des 12. Jahrhunderts.1 Für das 13. Jahrhundert finden sich ganz auf deutsch verfasste Urkunden: Nach Ursula Schulze sind für die Stadt und ihr Umland 37 Stücke zu verzeichnen; der produktivste Schreiber dieser Urkunden, Gottfried Hagen aus Xanten, war um 1270 zugleich auch Verfasser einer Reimchronik der Stadt Köln in deutscher Sprache.2 Die Anfänge der deutschen Schriftsprache in Köln fallen damit in die Blütezeit der mittelhochdeutschen Dichtung und Literatur an den Adelshöfen der Stauferzeit; der vorrangige Entstehungsort der Schriftstücke waren jedoch nicht die Höfe, sondern die Städte, die sich in dieser Zeit rasant vermehrten und deren Bürger sich zunehmend organisierten, um ihre Teilhabe an der Stadtherrschaft einzufordern.3 Sprachtypologisch zählen diese frühen Textzeugnisse zum Mittelhochdeutschen (das heißt also, zu den oberdeutschen Dialekten), auch wenn durch einen auffälligen Anteil an Schreibern aus dem niederdeutschen Sprachraum anfangs auch Einflüsse ihrer nördlichen Sprachheimat nachweisbar sind4 und sich bald eine eigene mittelripuarische Schreibsprache durchsetzen sollte. Hilfsmittel für das Verständnis oberdeutscher Schriftzeugnisse in den verschiedenen Sprachstufen alt-, mittel- und frühneuhochdeutsch finden Sie im Leitfaden für das Studium der Mittelalterlichen Geschichte.


Das Ripuarische als maßgebliche Schriftsprache im späten Mittelalter

Im 14. und 15. Jahrhundert wurde das Ripuarische (von lat. „ripa“ = das Ufer) als in der Region gesprochene Mundart zur maßgeblichen Schriftsprache der Kölner Quellen sowohl in der Verwaltung als auch in der Historiographie. Die seit 1350 sprunghaft steigende Zahl an deutschsprachigen Zeugnissen5 zeigt, dass sich der Schriftgebrauch in allen Lebensbereichen rasant ausweitete und die (Teil-)Alphabetisierung zunehmend auch zuvor illiterate Schichten erreichte. Mit dem Verzicht auf Latein nahm man die regionale Beschränkung solcher Schriftstücke und innerhalb des Sprachraums sehr heterogene Schreibungen in den Texten in Kauf. Trotzdem lassen die neuen „Schriftdialekte“, wie Stephan Habscheid formuliert, nicht einfach auf die Laute und Formen der gesprochenen Umgangssprache rückschließen.6

Ein erneuter Wechsel ist im frühen 16. Jahrhundert zu beobachten, einhergehend mit einer zunehmend mobilen ‚Funktionselite‘ aus Sekretären und Schreibern, die die Kanzleigewohnheiten und -sprachen ihrer Heimat ‚mitbrachten‘. Die so angestoßenen Standardisierungsbemühungen führten dazu, dass die Kölner Schriftsprache wieder sehr viel stärker hochdeutsche, genauer bairisch-oberdeutsche Tendenzen aufnahm; der Abstand der geschriebenen zur gesprochenen Sprache vergrößert sich dadurch noch mehr.7 Seit dem 17. Jahrhundert gab es dann keine ripuarische Schreibsprache mehr.
 

1 Vgl. Kurt Gärtner, Die deutschen Einträge in den Kölner Schreinskarten als früheste Zeugnisse für den Gebrauch des Deutschen als Urkundensprache im 12. Jahrhundert, in: Die Funktion außer- und innerliterarischer Faktoren für die Entstehung deutscher Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Tagung Greifswald, 18.9. bis 20.9.1992, hg. von Christa Baufeld, Göppingen 1994, S. 51-65. Die volkssprachliche Beurkundung setzt zuerst im oberdeutschen Sprachgebiet ein, im mitteldeutschen Raum ist Köln eine Ausnahme, denn hier wie im niederdeutschen Sprachgebiet auch tauchen deutsche Urkunden erst ab 1300 in stärkerem Maß auf, vgl. Ursula Schulze, Einleitung, in: Wörterbuch der mittelhochdeutschen Urkundensprache. Auf der Grundlage des Corpus der altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahr 1300, unter Leitung von Bettina Kirschstein und ders. erarb. von Sibylle Ohly und Peter Schmitt, Bd. 1, Berlin 1994, S. 1-12, hier S. 4.

2 Vgl. Ursula Schulze, Studien zur Erforschung der deutschsprachigen Urkunden des 13. Jahrhunderts, Berlin 2011, S. 15. Auf rund 40 Zeugnisse für das 13. Jahrhundert kommen auch Thomas Klein und Robert Peters, Niederdeutsche Schreiber, Gottfried Hagen und die Anfänge der deutschsprachigen Urkunde in Köln, in: Regiolekt, Funktiolekt, Idiolekt: Die Stadt und ihre Sprachen. Akten der 31. Tagung des Internationalen Arbeitskreises Historische Stadtsprachenforschung. Bonn, 29. September – 02. Oktober 2013, hg. von Anna Karin, Silvia Ulivi und Claudia Wich-Reif, Bonn 2015, S. 25-66, hier S. 25.

3 Vgl. Emil Skála, Urkundensprache, Geschäfts- und Verkehrssprachen im Spätmittelalter, in: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung, 2 Halbbde., hg. von Werner Besch, Oskar Reichmann und Stefan Sonderegger, Bd. 2, Berlin/New York 1985, S. 1773-1780, hier S. 1773f.

4 Vgl. Klein und Peters, Niederdeutsche Schreiber (wie Anm. 2).

5 Vgl. Walter Hoffmann und Klaus J. Mattheier, 162. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte III: Köln, in: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung, 2. vollständig neu bearb. und erw. Aufl. hg. von Werner Besch, Anne Betten, Oskar Reichmann und Stefan Sonderegger, Tlbd. 3, Berlin, New York 2003, S. 2321-2340, hier S. 2323f.

6 Vgl. dazu anschaulich Stephan Habscheid, Die Kölner Urkundensprache des 13. Jahrhunderts. Flexionsmorphologische Untersuchungen zu den deutschen Urkunden Gottfried Hagens (1262 - 1274) (Rheinisches Archiv 135), Köln, Weimar und Wien 1997, S. 32-36.  

7 Vgl. Hoffmann und Mattheier, 162. Die Stadt in der neueren deutschen Sprachgeschichte (wie Anm. 5), S. 2322, 2327-2331.

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