skip to content
Obrigkeitskritische Satire im Superlativ

Simplicissimus (1896 - 1944)

expand:
"Die Monarchenzusammenkunft in der Ostsee", Simplicissimus, 14. Jahrgang, No 12, 21. Juni 1909.
expand:
"Unsere sieben Feinde", Simplicissimus, 19. Jahrgang, Nr. 22, 1. September 1914.
expand:
"Hoffnung", Simplicissimus, 23. Jahrgang, Nr. 33, 12. November 1918.

Publikationsorgan des Monats: „SIMPLICISSIMUS“ (1896-1944)

 

„Hier bin ich: frei und jung und ahnungslos; / nicht Schwert, noch Helm und Lanze will ich tragen, / Mit heißen Worten nur will ich euch schlagen.“, verkündete das Auftaktgedicht der ersten Ausgabe des „Simplicissimus“ aus dem Jahr 1896 und setzte sich damit einen Anspruch, den die Zeitschrift mit einer konsequent obrigkeitskritischen Haltung und satirischer Zuspitzung zu entsprechen versuchte. Bereits die Namensgebung des Blattes verriet ein sozialdemokratisches Profil, das sich dezidiert gegen die Monarchie richtete: Inspiriert von dem wenige Jahre zuvor in Frankreich gegründeten Journal „Gil Blas“, berief sich ihr Herausgeber Albert Langen auf den barocken Schelmenroman „Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch“ von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, in dem sich dieser mit der Gestalt des Landstreichers Simplicius in satirischer Reflexion den Widrigkeiten des Dreißigjährigen Krieges stellte. Tagespolitische Ereignisse, soziale Missstände, die Institution der Monarchie, der Kolonialismus und die zunehmend aggressive Außenpolitik in der Phase des Hochimperialismus waren Leitthemen, die der „Simplicissimus“ in Form von reißerischen Textbeiträgen, scharfzüngigen Gedichten und spöttischen Karikaturen verarbeitete.

 

Die Zeitschrift begann 1896 als Programmheft des in München neu gegründeten Langen-Verlags. Mit ihrem für die damalige Medienlandschaft einzigartigen Großformat und intensiven Farbdruck erlangte das Heft jedoch rasch große Popularität. Von ursprünglich 15.000 Exemplaren im Jahre 1897 versechsfachte sich die Auflage innerhalb einer Dekade. Humoristische Wochenblätter der früheren Generation wie „Die fliegenden Blätter“ oder der „Kladderadatsch“ wirkten nahezu altmodisch gegen den schonungslosen Witz des „Simplicissimus“; und auch seine größte Konkurrentin, die „Jugend“, nur wenige Monate vorher für eine überwiegend liberale Leserschaft in München gegründet, mutete mit ihrem ästhetischen Primat fast schon harmlos an. Bereits um die Jahrhundertwende galt der „Simplicissimus“ somit als das bedeutendste deutschsprachige Satireblatt, das auch breite internationale Rezeption fand.

 

Seit dem Beginn seines Erscheinens bewegte sich der „Simplicissimus“ mit seiner Schamlosigkeit auf einem schmalen Grat zwischen Satire und Rechtswidrigkeit – Konflikte mit den staatlichen Autoritäten folgten alsbald. Als das Blatt ein antimonarchisches Gedicht Georg Herweghs veröffentlichte, sah sich etwa die österreichische Obrigkeit zur sofortigen Intervention genötigt. Mit umstürzlerischen Zeilen wie „Vielleicht noch einen Tag die wilden Jäger, / Vielleicht schon morgen das gejagte Wild!“ verursachte der Druck des Gedichts einen solchen öffentlichen Aufruhr, dass die Hofburg in Wien die entsprechende Ausgabe verbot. Da diese Nachzensur die beste Werbung für eine Zeitschrift war, die sich der provokativen Elitenkritik verschrieben hatte, trieben die Macherinnen und Macher, die durch die Simplicissimus GmbH seit 1906 ein großes Mitspracherecht hatten, trotz Gefängnisstrafen wegen Majestätsbeleidigung die Politisierung des Blattes im Gegenteil immer weiter voran.

 

Aber die Bruchlinien der deutschen Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bewirkten auch Brüche in der politischen Stoßrichtung des „Simplicissimus“. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 war im gesamtgesellschaftlichen Klima für satirische Opposition vorerst kein Platz mehr. Die sozialdemokratische Einstellung der Zeitschrift schwang daraufhin in einen bellizistischen Patriotismus um. Zielscheibe von Spott und Kritik waren nun die feindlichen Kriegsparteien. Außerdem wurden im Namen des „Simplicissimus“ propagandistische Flugblätter veröffentlicht, die im Stile der Zeitschrift das aktuelle Kriegsgeschehen bis zum Frieden von Brest-Litowsk kommentierten. Im Übergang zur Weimarer Demokratie schloss der „Simplicissimus“ recht schnell an seinen ursprünglichen Impetus an, wobei ihr die neuen demokratisch verankerten, politischen Kräfteverhältnisse die oppositionelle Spitze nahmen. Sowieso sah sich die in Kunst verpackte Satire des „Simplicissimus“ zunehmend in Konkurrenz zu den illustrierten Massenzeitungen, allem voran der „Berliner Illustrirten Zeitung“ mit zwangloser Unterhaltsamkeit und Millionenauflage. Mit den Präsidialkabinetten der späten Weimarer Zeit und dem Aufstieg des Nationalsozialismus gewannen die Beiträge wieder stärker Appellcharakter. Das NS-Regime nutzte das Blatt wegen seiner internationalen Bekanntheit als deutschnationales Propagandaorgan, bis es 1944 schlicht wegen Papiermangel eingestellt wurde.

 

 

In der Arbeitsstelle für Geschichte der Publizistik befinden sich (mit wenigen Lücken) die Originalausgaben des „Simplicissimus“ aus den Jahren 1906 bis 1922. Entlang der soziopolitischen Verschiebungen vom Kaiserreich zur Weimarer Republik lassen sich mit ihnen die Dynamiken antimonarchisch-demokratischer Diskurse untersuchen, deren zugespitzte Fundamentalkritik sich im Zusammenspiel von literarischer Satire, Kunst und Karikatur manifestierte. In ihrer Opposition zur wilhelminischen Außenpolitik und mit ihrer schonungslosen Offenlegung autoritärer Mentalitäten im Kaiserreich werfen sie ein besonders aussagekräftiges Schlaglicht auf das spannungsreiche Verhältnis von Gesellschaft und Obrigkeit einerseits sowie von Sozialdemokratie und Bürgertum andererseits.

Diese Ausgabe des Publikationsorgan des Monats steht hier als Download bereit.

*