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Publikationsorgan des Monats: Mai '23

Unparteilich – Allparteilich – Allgemein?

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Erster Jahrgangsband 1798.
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Ausgabe vom 4. April 1848 (Printexemplar).

Publikationsorgan des Monats: „Allgemeine Zeitung“ (1798-1929)

Wenige Wochen nach dem Ende des seit 1792 tobenden Ersten Koalitionskrieges wandte sich ein Neuling unter den deutschen Zeitungen in seiner ersten Ausgabe an seine potenzielle, von Revolution, territorialer Umwälzung und ungewisser Zukunft verunsicherte Leserschaft: „Welche eine Zeit also, unsre jezige! Wie sehr verdient sie, daß nicht blos der Politiker von Profession, sondern überhaupt jeder denkende Mensch so genau wie möglich ihren Geist und Gang studiere! Es gilt ja nicht mehr blos geheime CabinetsSachen. Jeder von uns ist unmittelbar und auf‘s wesentliche dabei interessirt.“ In aufklärerischem Gepräge empfahl sich hier die ab dem 1. Januar 1798 im Herzogtum Württemberg erscheinende „Neueste Weltkunde“ dem Publikum. Nicht die aufmerksamkeitsheischenden Skandale, Ausschmückungen und Belanglosigkeiten der „gewöhnlichen Zeitungen“ würden den Leser erwarten, sondern „wahre Facta“, „gleichfern von Lob und Tadel“ unparteilich, vollständig und getreu wiedergegeben, auf dass sich der „Gerichtshofe“ der „öffentlichen Meinung“ ein eigenes Urteil bilden könne. Angesichts von Arkanpolitik und Zensur, langwieriger Nachrichtenübermittlung und eines sich gerade erst im modernen Sinne professionalisierenden Journalismus, der oft nur schwer den Wahrheitsgehalt von Informationen festzustellen vermochte, war ein solcher Selbstanspruch durchaus gewagt. An der Schwelle zum 19. Jahrhundert traf die „Neueste Weltkunde“ damit aber zugleich einen zukunftsweisenden Nerv: Das Nachrichtenbedürfnis einer durch Aufklärung und Revolution politisierten „bürgerlichen Öffentlichkeit“ (Jürgen Habermas) verlangte geradezu nach einer stärker versachlichten Qualität der Berichterstattung. Insofern war es nur folgerichtig, dass die „Allgemeine Zeitung“ – wie die „Neueste Weltkunde“ schon bald hieß – nicht nur zu einem der meistrezipierten Blätter in der deutschen Zeitungslandschaft aufstieg, sondern auch europaweites Renommee genoss.

Den Grundstein für den Erfolg der „Allgemeinen Zeitung“ legte Johann Friedrich Cotta, der 1787 das traditionsreiche, wenngleich finanziell schwächelnde Familienunternehmen der „Cotta’schen Buchhandlung“ übernahm. Vor dem Hintergrund der Revolutions- und Kriegsereignisse hatte es bereits 1794 im Austausch mit Friedrich Schiller Überlegungen zu der Herausgabe einer Tageszeitung gegeben. Dieser schlug die Leitung jedoch aus und verfolgte mit der Literaturzeitschrift „Die Horen“ eigene herausgeberische Wege. Erst in dem Juristen, Historiker und erfahrenen Publizisten Ernst Ludwig Posselt fand Cotta schließlich einen geeigneten Chefredakteur für sein Unterfangen. Dass die „Allgemeine Zeitung“ rasch zu einem führenden Nachrichtenorgan mit weithin anerkanntem Qualitätssiegel wurde, lag nicht nur an der redaktionellen Praxis einer Gegenprüfung und Gewichtung von eingehenden Informationen, sondern vor allem an dem von Cotta international ausgebauten Netz von Korrespondenten. Eine direkte Nachrichtengenerierung am Ort des Geschehens – das war ein Maßstäbe setzendes Novum unter den deutschen Tagesblättern, deren Beiträge nur allzu oft von offiziellen Verlautbarungen und ausländischen Zeitungen abhingen.

Auch wenn die Auflage der Zeitung kontinuierlich wuchs und deutschlandweit Absatz fand – die Redaktion selbst musste zunächst gleich mehrfach im Südwesten des Alten Reiches umziehen. Dank Cottas guten Beziehungen zum württembergischen Hof unterlag die „Neueste Weltkunde“ nicht der Zensur. Als die Wiener Regierung aber eine Betrachtung über die österreichische Zustimmung zu der Abtretung linksrheinischer Gebiete an Frankreich auf dem Rastatter Kongress beanstandete und beim württembergischen Herzog intervenierte, wechselte Cotta den Namen des Blattes und verlegte dessen Sitz von Tübingen nach Stuttgart. Schon 1803 aber wurde die „Allgemeine Zeitung“ im gesamten Herzogtum Württemberg verboten. Doch die Napoleonischen Kriege ließen die deutschen Regenten vermehrt nach Mitteln staatlicher Pressepolitik Ausschau halten; eine überregionale Tageszeitung mit internationalen Verbindungen versprach subtile Meinungsmobilisierung in den allseits aufgenommenen „Federkriegen“. Es verwundert daher nicht, dass neben Bayern und Baden auch das preußische Ministerium in Ansbach Cotta umwarben. Dieser entschied sich für das an der württembergischen Grenze liegende, seit 1802 zu Bayern gehörende Ulm. Nachdem Ulm 1810 Württemberg einverleibt worden war, zog die „Allgemeine Zeitung“ schlussendlich nach Augsburg, denn die bayerische Post bot Cotta verbilligte Sondertarife, was in Anbetracht der unzähligen Korrespondenznachrichten und der zu versendenden Zeitungsausgaben einem unschlagbaren Standortvorteil gleichkam.

Der Sitz in Bayern, das seit 1805 an französischer Seite im Dritten Koalitionskrieg teilnahm, den Rang eines Königreichs erhielt und nach Ende des Heiligen Römischen Reiches im von Napoleon begründeten Rheinbund verblieb, setzte der angestrebten Unparteilichkeit des Blattes notgedrungen zu und führte zu einer spürbar frankreichfreundlichen Haltung. Seit 1813 bemühten sich sowohl der preußische Staatskanzler Hardenberg als auch der leitende österreichische Minister Metternich um die Lancierung propagandistischer Artikel aus der Feder angeworbener Publizisten und Staatsbediensteter, wobei Cotta, ohne die liberale, sachliche und grundsätzlich vielstimmige Einstellung der Zeitung aufzugeben, am ehesten noch den Interessen Wiens zuneigte. Die Karlsbader Beschlüsse von 1819 zogen auch der „Allgemeinen Zeitung“ enge thematische Grenzen; der sonst so umfassende Nachrichtenteil aus den deutschen Staaten schrumpfte zusammen, die Auflagenzahl ging bedrohlich zurück. Doch war die „Cotta’sche Buchhandlung“ mit der Herausgabe der Werke Schillers und Goethes inzwischen nicht nur zu dem Schwergewicht des deutschen Verlagsgeschäfts geworden. Cotta und seinem Chefredakteur Gustav Kolb gelang es Anfang der 1830er Jahre auch Heinrich Heine als Mitarbeiter für die „Allgemeine Zeitung“ zu gewinnen, dessen markant-bissigen Beiträge aus der zeitgenössischen Publizistik herausstachen und das Blatt attraktiv machten. 

Nach dem Tod Cottas im Jahr 1832 übernahm dessen Sohn Georg die „Allgemeine Zeitung“. Trotz dessen dezidiert großdeutschen Standpunkts in der Deutschlandpolitik erging sich das Blatt während und nach der Revolution von 1848/49 so gut wie nie in ideologischer Eindimensionalität. Im Gegenteil: Da die Redaktion in der Deutschlandfrage zutiefst gespalten war, avancierte die Zeitung mehr denn je zu einem Forum widerstreitender Meinungen – das, wenn schon nicht den Charakter der „Unparteilichkeit“, so doch immerhin den der „Allparteilichkeit“ (Kurt Koszyk) annahm. Unter den mittlerweile stattlichen 11.000 Abonnements fanden sich auch politisch einflussreiche Leser aus Frankreich, England, Italien, den Vereinigten Staaten und sogar der Levante, hob sich die „Allgemeine Zeitung“ insgesamt doch wohltuend von den parteipolitischen Grabenkämpfen vieler anderer deutscher Blätter ab.

Der Tod Georg Cottas 1863 und Gustav Kolbs 1865 läutete im Zusammengehen mit den deutschlandpolitischen Ereignissen der zweiten Hälfte der 1860er Jahre einen jahrzehntelangen Niedergang der „Allgemeinen Zeitung“ ein. Nach der verheerenden Niederlage Österreichs bei Königgrätz 1866 bemühte sich das Blatt zweckmäßig um eine stärkere Anbindung an die preußische Politik. Als es sich nach der Reichsgründung 1870/71 als süddeutscher Fürsprecher der im Kaiserreich erstarkten Nationalliberalen Partei einzurichten versuchte, schliff sich sein einstiges Profil einer „allgemeinen“ Zeitung zusehends aus. Wechselnde Eigentumsverhältnisse, der Umzug der Redaktion nach München, ein in der sich diversifizierenden Presselandschaft des Kaiserreichs hoher Bezugspreis und das Aufsplittern der Nationalliberalen Partei 1880 nagten an seiner Existenz und ließen es allmählich ins mediale Hintertreffen geraten. Ab 1908 erschien es nurmehr als Wochenblatt, bevor in den 1920er Jahren noch einmal vergebens der Versuch unternommen wurde, ihm als tägliches Abendblatt in der Weimarer Republik neues Leben einzuhauchen.

Die „Neueste Weltkunde“ bzw. „Allgemeine Zeitung“ liegt in der Arbeitsstelle für Geschichte der Publizistik von ihrem Erscheinungsbeginn 1798 bis einschließlich 1889 teils auf Mikrofilm, teils im gebundenen Original mit Lücken zur Einsichtnahme bereit. Aufgrund ihrer zeitgenössischen Prominenz stellt sie eine ertragreiche Quelle für das gesamte „lange“ 19. Jahrhundert dar, an der man im Kontext publizistischer Fragestellungen zumindest bis in die 1860er Jahre nicht umhinkommt. An ihr lassen sich etwa die Herausbildung eines neuen Journalismus um 1800 und die staatlichen Pressekampagnen der napoleonischen Zeit genauso untersuchen wie die erschwerte Nachrichtenpraxis unter den Zensurbestimmungen des sog. „Vormärzes“. Für die Analyse der deutschlandpolitischen Auseinandersetzungen von den späten 1840er Jahren bis zur Reichsgründung bietet die „Allgemeine Zeitung“ wie kein anderes Blatt ein umfassendes Stimmungsbild, wohingegen sie ab den 1870er Jahren Aufschluss gibt über das Hadern der Nationalliberalen zwischen Kooperation und Opposition gegenüber dem Bismarck’schen Kaiserreich, das in ihren Augen zwar nationale „Einheit“, nicht jedoch liberale „Freiheit“ genügend erfüllte.

Diese Ausgabe des Publikationsorgans steht hier zum Download (als PDF-Dokument) bereit.

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