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Ambivalenz und Verschmelzung im „Jugendstil“

Die Jugend (1896 – 1940)

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Titelblatt der "Jugend", 1897 Nr. 23.
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Erste Seite der ersten Doppelausgabe der "Jugend", 1869.
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Ausgewählte Einbände der "Jugend" aus dem Bestand der Arbeitsstelle.

Publikationsorgan des Monats: „JUGEND“ (1896 – 1940)

 

Die Zeit vom ausgehenden 19. Jahrhundert über die Jahrhundertwende hinweg bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs war ein Zeitraum, der mit den kaum neutralen zeitgenössischen Epochenzuschreibungen wie der „Belle Epoque“, dem „Fin de Siècle“ oder dem „Dekandentismus“ mehr in seiner Ambivalenz als in seiner Ganzheitlichkeit begriffen werden kann. Während die einen in der Zeit um 1900 das Aufblühen von Kunst, Literatur, Natur- und Geisteswissenschaft, von Industrie, Wirtschaft und Parteipolitik als Aufbruchssymptome deuteten, sahen andere darin den Verfall von Kultur und Gesellschaft. Kunst und Kultur zeitigte eine von den Zeitgenossen als präzedenzlos empfundene Parallelität von Strömungen und Gegenströmungen. Im Neben-, In- und Gegeneinander von traditionellen und neuartigen Ordnungsvorstellungen dienten vor allem Kunst und Literatur als Sprachrohr der gesellschaftlichen Avantgarde.

 

Prägend für diese Zeit war unter anderem die erstmals 1896 erschienene „Jugend. Münchner Wochenschrift für Kunst und Leben“. Sie wurde durch Schriftsteller, Journalisten und Künstler mit dem Anspruch gegründet, den progressiven Ideen der Zeit auf künstlerische Art gerecht zu werden. Keine bestimmten Jahrgänge sollten mit dem Titel „Jugend“ angesprochen werden, sondern eine Einstellung: Inmitten der Spannungen zwischen Zukunftseuphorie und Zukunftsangst, Aufbruchs- und Endzeitstimmung platzierte sich die „Jugend“ gegen ein rückwärtsgewandtes Kunstverständnis und vermeintliches Spießertum. Schnell entwickelte sich die „Jugend“ zum intellektuellen Leitmedium der progressiven Kunstbewegungen um 1900, sodass die Zeitgenossen von ihr den – später von der Kunstgeschichte kanonisierten – Terminus „Jugendstil“ ableiteten.

 

In ihr fanden Künstler, deren Namen bis heute für avantgardistische Kunst stehen, eine Publikationsplattform, in ihrer Gründungsdekade etwa Arnold Böcklin, Gustav Klimt, Franz von Lenbach, Max Klinger und Otto Eckmann, seit den 1920er Jahren unter anderen Willy Hallenstein, George Grosz und Max Beckmann. Auch Künstlerinnen wie die Art-Déco-Malerin Franziska Schlopsnies oder die Designerin Margarethe von Brauchitsch kamen in ihr ‚zu Wort‘. Typische Charakteristika des Jugendstils wie die florale Ornamentik und dekorative Zier gaben der Zeitschrift Gestalt. Die Ästhetik der besonders künstlerisch gestalteten Titelseiten, die alleinstehend schon bedeutsame Zeitdokumente darstellen, waren Selbstanspruch und Distinktionsmerkmal zugleich in einer sich zunehmend ausdifferenzierenden Medienlandschaft. Im eklektischen Zusammenspiel von Gemälden, Grafiken und Karikaturen, von lyrischen und prosaischen Textformen, mal novellistisch, mal satirisch, fand die „Jugend“ ihren prägenden Stil, mit dem sie auf genuine Weise auf zeitgenössische Politik und kulturelle Entwicklungen eingehen konnte. Die Herausgeber Georg Hirth und Fritz von Ostini verfolgten dabei das „Programm der Programmlosigkeit“; kein Bereich, keine Form, kein Genre sollte ausgeschlossen werden. In einem weit gefassten Kunstbegriff verschmolzen Kunst und Leben miteinander: Dem ‚Leben‘ sollte in seiner gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Vielgestaltigkeit künstlerischer Ausdruck verliehen werden, wodurch ‚Kunst‘ in den Augen seiner Herausgeber eine lebenspraktische Wirksamkeit zugeschrieben wurde.

 

So ambivalent wie die damalige Zeit wurde damit aber auch die Zeitschrift. Obgleich eindeutig liberaler Ansichten, schwankte sie zwischen einem das Kaisertum grundsätzlich befürwortenden Konservatismus und einer mitunter sozialdemokratisch anmutenden Zensur- und Kirchenkritik, die obrigkeitsstaatliche Praktiken und den politischen Katholizismus ins Visier nahm. Selbst die Person des Kaisers sollte für die weitestgehend bürgerlich-liberale Leserschaft von Kritik nicht ausgespart bleiben: Als Teil der Münchener Secession wendete sich die „Jugend“ dezidiert gegen die Kunstpolitik Wilhelms II., der den Kunstbetrieb staatlich bevormunden ließ und beispielsweise Gemälde des französischen Impressionismus aus den deutschen Museen verbannte.

 

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs schwenkte das Blatt von seinem ambivalenten Charakter, wie so viele andere Blätter, zunehmend in nationalistische Kriegsverherrlichung um. Die kritischen Karikaturen und Gedichte zur wandelnden Gesellschaft der frühen Moderne veränderten sich zu propagandistisch anmutenden Darstellungen, die im patriotischen Duktus vom heroischen „deutschen Vaterland“ erzählten, bis sie schließlich im neuen kulturellen Aufschwung der Weimarer Zeit in ausführlichen Kommentaren und Bildergeschichten zu Kunst-, Theater- und Alltagsthemen mündeten. Der gesellschaftliche Aufbruch in die demokratische Massenkultur der 1920er Jahre schlug sich auch in der „Jugend“ nieder: So konnte die Zeitschrift zwar zu publizistischer Seriosität und ihrem progressiv-avantgardistischen Selbstanspruch zurückfinden, sah sich zugleich aber einer beträchtlichen Medienkonkurrenz und der Verbreitung des visuell ansprechenden Fotojournalismus ausgesetzt. Die Auflagenzahlen stagnierten. Nach der nationalsozialistischen „Gleichschaltung“ existierte die Zeitschrift noch bis 1940 weiter. Ihr Selbstverständnis als bürgerliches Forum künstlerischer Ästhetik und kultureller Vielfalt konnte sie freilich nicht mehr aufrechterhalten; ihr einstiges Signum der Ambivalenz wich den Eindeutigkeiten nationalsozialistischer Ideologie.

 

Die „Jugend“ befindet sich in originaler Druckform für den Zeitraum von Juli 1896 bis Juni 1927 (mit wenigen Lücken) im Bestand der Arbeitsstelle der Geschichte für Publizistik. Neben einem bürgerlich-liberalem Blick auf die deutsche Politik, Gesellschaft und Kultur des Kaiserreichs und der Weimarer Republik lässt sich die Zeitschrift für transnationale Perspektiven und Forschungsfragen zur Wahrnehmung und ästhetischen Rezeption des Kolonialismus fruchtbar machen. Allein schon die Werbeanzeigen, in denen sich gleichermaßen der künstlerische Anspruch der Zeitschrift äußerte, bilden einen eigenständigen Quellenkorpus, der diversen alltagsgeschichtlichen Zugriffen oder etwa den Gender Studies offen steht.

Diese Ausgabe des Publikationsorgan des Monats steht hier als Download bereit.

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