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Frühsozialismus in Westfalen

Das Westphälische Dampfboot (1845-1848)

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Titelseite "Das Westphälische Dampfboot", No. 1 1848.

Publikationsorgan des Monats: Oppositionelle Kommunikationsräume des „Vormärz“ III

„Das Westphälische Dampfboot“ (1845-1848)


Erfolgreicher als die Zeitschrift „Der Geächtete“ war die frühsozialistische Zeitschrift „Das Westphälische Dampfboot“, die im Rheinland, Ostwestfalen und Lippe zwischen 1845 und 1848 vertrieben wurde. Um nicht das Schicksal ihres Vorgängerblattes „Weserdampfboot“ zu teilen, das Ende 1844 von der preußischen Zensurbehörde verboten wurde, konzipierte der Herausgeber und westfälische Sozialpolitiker Heinrich Otto Lüning das neue „Dampfboot“ als nicht konzessionspflichtige Monatsschrift. Da solch monatlich erscheinenden Blättern nur ein geringer politischer und parteibildender Mobilisierungsgrad zugeschrieben wurde, unterlagen sie einer weniger rigorosen Zensur. Vorwiegend wurde über Möglichkeiten der „Abhülfe der geistigen und materiellen Noth“ der arbeitenden Klassen und die Gründung lokaler Arbeitervereine berichtet, die Defizite des Schulsystems angeprangert und die Willkür staatlicher Zensur auf nicht selten humoristische Weise offengelegt: „Bei der klaren Bestimmung der Censur-Instruktion ist der Strich jenes Censors allerdings schwer zu begreifen.“

 

Neben diesem Fokus auf regionale sozialpolitische Themen gerieten mit Lünings regelmäßig erscheinenden „Weltbegebenheiten“ aber auch die gesamtdeutschen und europäischen Ereignisse nicht aus dem Blick. Das „Westphälische Dampfboot“ verfolgte für seine Leserschaft aufmerksam die konstitutionellen Entwicklungen in Holland, Belgien und England, informierte über Arbeiteraufstände in Frankreich, Griechenland und Spanien und diskutierte die Errungenschaften des Sozialutopisten Robert Owen, der mit seinen genossenschaftlich organisierten Unternehmen in England unter Zeitgenossen für Aufsehen sorgte. Die Zeitschrift fungierte als überregional populäre Meinungsplattform linksdemokratischer, frühsozialistischer und kommunistischer Intellektueller. Neben dem als Hauptautor tätigen Kommunisten Joseph Wedemeyer steuerten unter anderem der frühsozialistische Zionist Moses Hess sowie Karl Marx und Friedrich Engels Artikel bei, wobei die Zeitschrift durchaus auch als Austragungsort ideologischer Differenzen der Autoren hervortrat. Insbesondere die um die Mitte der 1840er Jahre aufbrechenden dogmatischen Konfliktlinien zwischen Marx und Engels auf der einen und den als Vertretern eines „wahren Sozialismus“ kritisierten Junghegelianern auf der anderen Seite fanden in mehreren polemischen Artikeln im „Dampfboot“ ihren Niederschlag. Erstere warfen letzteren dabei vor, in ihrem dialektischen Geschichtsdenken die materiellen Verhältnisse als eigentliche Grundlage gesellschaftlicher Ordnung und Ausgangspunkt sozialer Veränderung zu missachten. Nachdem die Zensur im Zuge der Märzrevolution von 1848 aufgehoben wurde, erschien „Das Westphälische Dampfboot“ zwar zweimal wöchentlich, stellte sein Erscheinen jedoch bereits im Mai des Jahres vollständig ein – mit sechs Silbergroschen pro Monatsheft blieb es bis zuletzt ein für die unteren Bevölkerungsschichten der Arbeiter, Handwerker und Bauern nicht erschwingliches Pressemedium des international vernetzten, frühsozialistischen Bürgertums im „Vormärz“.

 

Insgesamt sind die Netzwerke des Sozialismus und der prominenten politischen Opposition im „Vormärz“ für Deutschland und das deutschsprachige Ausland nebst den Verbindungen nach Paris und London gut erforscht. Auch die staatlichen Zensurpraktiken und erfinderischen redaktionellen Umgehungsversuche sind für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts von der jüngeren Forschung ausgiebig beleuchtet worden. Zugleich bietet die Phase des deutschen „Vormärz“ aber noch eine ganze Reihe an Forschungslücken, wobei die oppositionellen Pressemedien der Zeit hierfür einen erstrangigen Quellenkorpus darstellen: So liegen bislang nur eine Handvoll Untersuchungen zu weniger populären Akteuren der Opposition vor, und die Querverbindungen und Referenzen zwischen den Blättern samt ihren Kontakten nach Südeuropa und zu den italienischen Exilanten sind noch nicht hinreichend von der Geschichtswissenschaft erschlossen. Gerade auch Fragestellungen jenseits des allzu offensichtlichen sozialistischen und demokratischen Spektrums bieten sich mit Blick auf die hier vorgestellten (wie auch für andere) Publikationsorgane des „Vormärz“ für weitergehende Analysen an: Geschichts- und Europakonzeptionen, Gender- und Religionsfragen, der Blick auf die „Welt“ sowie die Frage nach dem Regionalen im nationalen oder europäischen Kontext.

Diese Ausgabe des Publikationsorgans des Monats steht hier als Download bereit.

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