Kino in der Krise? Deutsche Filmzeitungen der Weimarer Republik
Publikationsorgan des Monats: „Kinematograph“ (1907-1935), „Filmkurier“ (1919-1945) und „Illustrierter Filmkurier“ (1919-1944)
„Was wird das neue Jahr bringen? […] Schon jetzt lässt sich sagen, dass 1929 von einer eminenten Bedeutung für den Film sein wird. Filmdebatten, Krisengeflüster überall, das bedeutet den Beginn einer neuen Epoche“ – Der Filmkurier sollte mit seiner Neujahrsprognose Recht behalten: Das Jahr 1929 zeichnete mit dem ersten Tonfilmprogramm, als dessen Hauptfilm „Ich küsse Ihre Hand, Madame“ mit Marlene Dietrich in der Hauptrolle einen fulminanten Auftakt hinlegte, eine zukunftsweisende cineastische Neuerung. In einer Zeit, in der politische Spannungen, die Weltwirtschaftskrise, Hyperinflation, Arbeitslosigkeit und soziale Unsicherheit den Alltag der Zeitgenossen dominierten und sich auch die deutsche Kinematographie in einer Phase der Stagnation wähnte, die Filmzeitungen gar von einer „Krise des Films“ sprachen, wurden große Hoffnungen an den Tonfilm geknüpft. Tatsächlich erwies sich dieser als Publikumsmagnet. Er sollte die massenkulturelle Breitenwirkung des Mediums Film nur noch weiter beschleunigen und die Weimarer Republik zur „Blütezeit“ des Kinos werden lassen. Die Zahlen sprechen für sich: Deutschland konnte europaweit die höchste Zahl an Kinos verbuchen, zumal sich deren Anzahl zwischen 1918 und 1930 in nur 12 Jahren von 2300 auf über 5000 Lichtspielhäuser mehr als verdoppelte. Die Zuschauerzahlen rangierten in ähnlich außerordentlichen Höhen: 1926 zog es knapp 332 Millionen Menschen in die Filmvorführungen, besonders junge Menschen aus dem Proletariat, die durchschnittlich einmal die Woche das Kino besuchten. Sowohl eine verdichtete Urbanisierung als auch die formale Einführung des Acht-Stunden-Tages 1918 spielten der gesteigerten soziokulturellen Bedeutung des Kinos in die Hände; nicht nur die Filmmetropole Berlin, sondern auch andere deutsche Großstädte boten den Freizeitlern Zerstreuung. In den ‚Goldenen Zwanzigern‘ entstanden Filmklassiker, die nicht nur passionierten Cineasten heute noch ein Begriff sind, wie „Nosferatu – eine Symphonie des Grauens“ oder „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ und „Metropolis“ des Regisseurs Fritz Lang, der es in der Zwischenkriegszeit zu Weltgeltung brachte. Unverkennbar war der Film zum „kulturelle[n] Leitmedium der Epoche“ (Sabina Becker) avanciert.
Da eine riesige Nachfrage einerseits nach Film und Kino und andererseits nach Printmedien in der entstehenden Massen- und Konsumgesellschaft der Weimarer Republik herrschte, entwickelte sich rasch ein auflagenstarker Markt für Filmzeitschriften, der ausdifferenzierte, jeweils auf die verschiedenen sozialen Rezipientengruppen zugeschnittene Lesebedürfnisse bediente.
Der „Kinematograph“, der am 06. Januar 1907 erstmalig beim Düsseldorfer Verlag Eduard Lintz erschien, konnte sich zurecht als das „älteste Film-Fachblatt“ Deutschlands rühmen. Er wandte sich in erster Linie an ein fachkundiges Publikum von Kinobesitzern und Filmschaffenden und diskutierte auf bis zu 70 Seiten pro Ausgabe Kooperationen zwischen Filmgesellschaften, zensorische Regelungen und Brandschutzfragen und bot protowissenschaftliche Ausführungen zu der noch in den Kinderschuhen steckenden Filmtheorie. Ab 1923, als das Blatt in den Berliner Verlag August-Scherl eingegliedert wurde und somit fortan indirekt mit dem nationalkonservativen Hugenberg-Mediakonzern verbunden war, legte der neue Chefredakteur Alfred Rosenthal den Fokus stärker auf die Filmkritiken, was sich in der Schaffung eines ausführlichen Rezensionsteils, der „Filmkritischen Rundschau“ niederschlug. Stand die Entwicklung des Films der 1920er und 30er Jahre dezidiert im Kontext einer grenzübergreifenden Wissenszirkulation samt internationalem Filmhandel, verfolgten Auslandskorrespondenten in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Osteuropa für den „Kinematographen“ die neuesten cineastischen Trends. Gerade der Blick über den Atlantik war für die deutschen Leser von großem Interesse, denn Hollywood war seit Anfang der 1920er Jahre zum weltweit bedeutendsten Filmproduktionsstandort aufgestiegen. Deutschland jedoch folgte dicht auf den Fersen: In den 1920er Jahren besaß es die zweitgrößte Filmindustrie und hatte mit den UFA-Filmstudios in Babelsberg eine Produktionsstätte von Weltrang.
1919 vom jüdischen Verleger Alfred Weiner gegründet, richtete sich die auflagenstarke Tageszeitung „Filmkurier“ hingegen an eine breitere Leserschaft. Der Schwerpunkt aktueller Nachrichten rund um das Filmwesen wurde ergänzt durch Neuigkeiten aus den in der Weimarer Republik massenpopulären Bereichen Theater, Varieté, Mode und Sport, womit bereits der Untertitel des Blattes warb. Selbst Kurzmeldungen über die jüngsten politischen Entwicklungen oder lokale Ereignisse fanden sich im Blatt. Sporadisch lagen der Zeitschrift außerdem wechselnde Beilagen zu Filmtechnik oder -musik bei. Obwohl eher ein bürgerliches Publikum adressierend, näherte sich der „Filmkurier“ in seiner thematischen Ausrichtung in den Zwanzigern dem „Kinematographen“ an, indem er in einer Beilage, der „Kinotechnischen Rundschau“, ebenfalls technisch-organisatorische Fragen erörterte. Hier schlug die allgemeine Technikbegeisterung der Weimarer Gesellschaft durch, was sich nicht zuletzt in der vom „Filmkurier“ gewählten Losung des „Filmfortschritts“ manifestierte. Bemerkenswert ist der „Filmkurier“ auch in feministisch-emanzipatorischer Hinsicht: Zwischen 1927 und 1933 fungierte Lotte Eisner, die Mitbegründerin des ruhmvollen Pariser Filminstituts Cinémathèque Française, als Redakteurin, bis sie 1933 wegen ihrer jüdischen Herkunft entlassen wurde und nach Frankreich emigrieren musste.
Sowohl der „Kinematograph“ als auch der „Filmkurier“ adressierten ein lesegewohntes Publikum, das mit dem Weimarer Kulturbetrieb und den sprachlichen Registern einer bürgerlich geprägten Film- und Kulturkritik weitestgehend vertraut war. Wollte man die vielen Kinobesucher aus den Unterschichten als Rezipientengruppe gewinnen, musste man sich stattdessen auf das Angebot niedrigschwelliger Leseerlebnisse jenseits solch eingeschliffener Publikationsformate verlegen. Für solche Konsumbedürfnisse hatten die Herausgeber des „Filmkuriers“ den „Illustrierten Filmkurier“ ins Leben gerufen. Er konnte direkt an den Kinokassen für wenig Geld erworben werden und setzte auf die Kraft visueller Darstellungen. Abbildungen von Filmszenen boten im Zusammenspiel mit einem aufs Wesentliche beschränkten Begleittext Zusammenfassungen von Filmhandlungen; anstelle ausufernder Besprechungen versorgte er die Leserschaft lediglich mit den essentiellen Grundinformationen zu Produzent, Regie und Besetzung. Auf diese Weise ermöglichte der „Illustrierte Filmkurier“ der Leserschaft gewissermaßen eine konzise inhaltliche Vor- und Nachbereitung des jeweiligen Films – gerade auch über das kurzlebige Kinoerlebnis, das (audio)visuell überfordern konnte, hinaus.
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 veränderten sich die Verhältnisse im Filmwesen grundlegend. Die Nationalsozialisten hatten den Wert erkannt, den ihnen das Medium Film dank seiner kulturellen Etablierung in der breiten Öffentlichkeit bot, und münzten dessen bildungspolitischen Möglichkeiten radikal auf ihre propagandistischen Zielsetzungen um. In seiner Rede im Kaiserhof am 28.03.1933 umriss der neu zum Minister für Volksaufklärung und Propaganda berufene Joseph Goebbels die Grundzüge der angestrebten ‚Filmpolitik‘. Den Topos der „Filmkrise“ im Lichte der nationalsozialistischen Weltanschauung interpretierend, betonte er die Bedeutung des Kulturgutes Film für die ideologische Durchdringung der Bevölkerung und die weltmachtpolitischen Ambitionen des NS-Regimes: „Die innere Größe der Gesinnung muß mit den äußeren Mitteln übereinstimmen. Dann kann der deutsche Film eine Weltmacht werden, deren Grenze heute noch ganz unvorstellbar ist. […] Je schärfer völkische Konturen ein Film aufweist, desto größer sind die Möglichkeiten, die Welt zu erobern.“ Kurzerhand wurde die gesamte Filmindustrie dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unterstellt und das Kino gleichgeschaltet: Von über 100 Weimarer Filmgesellschaften blieb nach 1933 nur noch die staatliche UFA Film-GmbH übrig. Das traf zunächst den „Kinematographen“, der sich durch Anzeigen der Filmgesellschaften finanziert hatte und 1935 eingestellt wurde. Alfred Weiner, der Gründer und Verleger des „Filmkuriers“, durfte seine Tätigkeit aufgrund seiner jüdischen Herkunft nicht weiter ausführen und emigrierte in die Vereinigten Staaten. Der „Filmkurier“ selbst wurde nach 1940 erst mit zwei weiteren Filmblättern zusammengelegt und erschien noch für kurze Zeit unter einem veränderten Titel, bevor er 1945 ebenfalls eingestellt wurde.
In der Arbeitsstelle für Geschichte der Publizistik sind alle drei Filmzeitschriften mit nur wenigen Lücken für den jeweiligen gesamten Erscheinungszeitraum auf Mikrofilm vorhanden.
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