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Publikationsorgan des Monats: April '24

Revolutionäre Trockenübungen im zensurfreien Exil

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Erste Ausgabe vom Januar 1847

Deutsche-Brüsseler-Zeitung (1847-1848)

Um 1840 richteten sich die konservativen Argusaugen der österreichischen Monarchie immer häufiger auf Brüssel. Ein Geheimbericht aus Mainz warnte Staatskanzler Klemens Lothar von Metternich im März 1839, die belgische Hauptstadt entwickele sich für deutsche Flüchtlinge zur neuen Schweiz. Keine drei Jahre später geißelte sie ein anderer habsburgischer Agent bereits als „Hauptzentrum der revolutionären Umtriebe“ in Europa. Infolge der erneuten Repressions- und Verbotswelle gegen die obrigkeitskritische Presse, die nach der Julirevolution 1830 in vielen Staaten des Deutschen Bundes anlief, avancierte Brüssel neben Paris und den Vereinigten Staaten von Amerika tatsächlich zum Dreh- und Angelpunkt der wirtschaftlichen und politischen Flüchtlingsströme. Das lag vor allem an der liberalen Verfassung des gerade unabhängig gewordenen Belgiens, die seit 1831 freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit garantierte und das Pressewesen robust vor staatlichen Zensurgriffeln schützte. Zwischen 1830 und 1848 gingen etwa 10.000 Deutsche ins belgische Exil. Neben Handwerkern und Arbeitern waren unter den Exilanten etliche Intellektuelle, die in der relativ unbehelligt operierenden Verlagsbranche beruflich aktiv wurden. Es nimmt daher nicht Wunder, dass sich Brüssel im Vorfeld der europäischen Revolutionen von 1848/49 rasch zum hot spot einer deutschsprachig geprägten „Emigrantenpublizistik“ (Guido Ros) und der Formierung der sozialistischen Arbeiterbewegung entwickelte.

Als der deutsche Journalist und Publizist Adalbert von Bornstedt nach seiner Ausweisung aus Paris im Februar 1845 in Brüssel ankam, hatte sich dort längst ein kommunikatives Netzwerk aus oppositionellen Autoren, politischen Aktivisten, radikalen Exilvereinigungen und deutschen Buchhandlungen gebildet. Auch an Gründungsversuchen für deutsche Zeitungen hatte es nicht gefehlt, deren Ziel es gewesen war, im Sinne nationaler und republikanischer Prämissen aus dem sicheren belgischen Exil heraus auf die politische Meinungsbildung im Deutschen Bund einzuwirken. Doch sowohl Die Germanische Presse als auch Der Grenzbote scheiterten unter anderem an der strikten Haltung Preußens, das ihnen für das Rheinland kein Postdebit erteilte und sie so recht erfolgreich von den Absatzmärkten der übrigen deutschen Staaten abschnitt.

Von Bornstedt war mit seiner transnationalen Vita genau die richtige Person, das Unterfangen einer deutschen Zeitung in Brüssel wieder aufzunehmen. Geschickt hatte er sich seit einem Jahrzehnt durch die schwierigen Gefilde der vormärzlichen Exilöffentlichkeiten in Europa laviert. Als ehemaliger preußischer Untertan und Fremdenlegionär in französischen Diensten hatte er sich nach einem Brasilienaufenthalt Mitte der 1830er Jahre in Paris niedergelassen, Kontakte in republikanische Kreise und zur französischen Politprominenz geknüpft, zunächst als österreichischer Spitzel fungiert, dann die wahrscheinlich aus französischen Geheimfonds finanzierte Pariser Zeitung herausgegeben, um schließlich preußische Taler für seine Arbeit als Polizeispion und Pariser Korrespondent der offiziellen Allgemeinen Preußischen Staats-Zeitung zu erhalten. Als sein wechselvolles Dienstverhältnis zur preußischen Regierung im September 1845 endete, sah er die Chance für ein neues deutschsprachiges Zeitungsprojekt in Brüssel mit europaweitem Einfluss gekommen.

Zum Jahresbeginn 1847 konnten die Zeitgenossen die Deutsche-Brüsseler-Zeitung erstmals im hauseigenen Zeitungsbüro, beim deutschen Brüsseler Buchhändler Kießling und im Café des Boulevards, dem Brüsseler Szenetreff der Emigranten, erwerben; in Antwerpen liefen die Bestellungen über die Buchhandlung Max Kornicker; am Lütticher Bahnhof war der Kauf sogar bei kurzem Zwischenhalt möglich; Londoner wurden bei Williams and Norgate fündig; der Versand nach Deutschland und Österreich organisierte der Buchhändler C.G. Vogler; in Straßburg und für Süddeutschland konnte man sich an den Buchhändler Alexander wenden; Schweizer Bestellungen wurden in Basel abgewickelt; selbst in New York und Madrid gab es Abonnementstellen; und für die Lesewut der deutschen Sommerfrischler an der belgischen Küste stand der Ostender Buchhändler Elleboudt zur Verfügung. Obwohl die Zeitung mit einer Auflage von etwa 500-600 Exemplaren quantitativ überschaubar blieb, waren die deutschen Behörden angesichts der weiten geographischen Verbreitung alarmiert. Sie setzten alles daran, deren Distribution zu unterbinden – Beschlagnahmungsversuche an der französisch-badischen Grenze und im Rheinland sprechen Bände.

Inhaltlich legte die Deutsche-Brüsseler-Zeitung die Axt an den reformunwilligen, antiliberalen Kurs vieler deutscher Staaten im Vormärz. Gegen deren „morschen Staatsgebäude“ propagierte sie verfassungsmäßig garantierte bürgerliche Freiheiten, die Bekämpfung des Pauperismus, die wirtschaftliche Vereinheitlichung Deutschlands, die Kräftigung des deutschen Nationalsinns, Fortschritte bei der Judenemanzipation und die Wiederherstellung Polens. In der ersten Ausgabe hielt von Bornstedt auch gleich der preußischen Zensur den Spiegel vor, indem er einen verbotenen Artikel aus der Rhein-und-Mosel-Zeitung vollständig abdrucken ließ – und damit das zensurfreie Erscheinen der Deutschen-Brüsseler-Zeitung umso eindrucksvoller inszenieren konnte.

Von Bornstedt hatte die Deutsche-Brüsseler-Zeitung durchaus auf eine radikaldemokratische Spur gesetzt. Seine Haltung zum Kommunismus war dagegen jedoch zögerlich bis verhalten; weniger die sozialen als die politischen Unterdrückungssysteme standen bei seiner Kritik im Vordergrund. Marxistische Ideen fanden erst mit dem Korrespondenten Wilhelm Wolff Eingang, der als Weggefährte von Karl Marx und Friedrich Engels ab Ende März 1847 die „Klassen“-Rhetorik im Blatt akzentuierte und gegen die kapitalistischen Ausbeutungspraktiken der „Bourgeoisie“ wetterte. Marx war nur drei Wochen nach von Bornstedt in Brüssel angekommen, Engels folgte alsbald. In der belgischen Hauptstadt arbeiteten beide an einer stärkeren organisatorischen und personellen Koordinierung der kommunistischen Bewegung. Im August 1847 gründeten sie gemeinsam mit weiteren Exilanten den „Deutschen Arbeiterverein in Brüssel“, um wenig später aus taktischen Gründen auch in der „Association Démocratique“ federführend zu werden, die ursprünglich als weniger radikale Gegenorganisation zum „Arbeiterverein“ von von Bornstedt und anderen Mitstreitern ins Leben gerufen worden war. Von September 1847 an wussten Marx und Engels die Deutsche-Brüsseler-Zeitung jedenfalls für die Publikation ihrer Gedanken und als argumentatives Übungsfeld ihres im Februar des Folgejahres erschienenen „Manifest der Kommunistischen Partei“ zu nutzen. Dennoch überließ von Bornstedt ihnen das Blatt nicht allein und sorgte mit eigenen Beiträgen, redaktionellen Überarbeitungen und ideologischen Kompromissvorschlägen für eine publizistische Polyphonie, die neben kommunistischen auch bürgerliche Stimmen enthielt.

Mit seinen Spitzen gegen die konservativen Monarchien hatte sich von Bornstedt exponiert. Bemühungen um dessen Ausweisung aus Belgien kamen zuerst aus Frankreich, dann vehementer aus Preußen. Spätestens nachdem die Deutsche-Brüsseler-Zeitung über die Gründung des „Arbeitervereins“ berichtet hatte, erschien von Bornstedt Berlin zunehmend als ein zentraler player der kommunistischen Bewegung. Die belgische Regierung widersetzte sich anfänglich aus Sorge, ihren libertären Ruf einzubüßen. Diplomatische Verstimmungen mit Preußen waren die Folge. Erst von Bornstedts Rolle im „Association Démocratique“ veränderte die Haltung Brüssels allmählich. Um nicht zur Zielscheibe antirevolutionärer Maßnahmen Preußens zu werden, erging unter dem unmittelbaren Eindruck der ausgebrochenen Februarrevolution in Paris schließlich der Ausweisungsbefehl gegen ihn. Doch als ihm dieser am 1. März 1848 durch einen Gerichtsvollzieher zugestellt werden sollte, hatte sich von Bornstedt bereits in sein altes Exil und in das neue revolutionäre Epizentrum Europas abgesetzt: nach Paris. 

In der Arbeitsstelle für Geschichte der Publizistik ist die Deutsche-Brüsseler-Zeitung für ihren gesamten Erscheinungszeitraum von Januar 1847 bis Februar 1848 im gebundenen Reprint vorhanden. Unverstellter und radikaler als in den Zeitungen unter deutscher Zensur zeigt sich in ihr der freiheitlich-revolutionäre Diskurs der unmittelbaren Vorzeit der Revolutionen von 1848. Sie wirft ein Schlaglicht auf die kulturelle Dynamik der deutschen Exilgruppen, auf deren grenzübergreifende Wissensmobilität und transnationale Vernetzung im Vormärz. Nicht zuletzt sensibilisiert sie für die vielen ideologischen Schattierungen der Obrigkeits- und Gesellschaftskritik in den 1840er Jahren, die viel mehr heterogen als einheitlich, viel mehr konfliktreich als spannungsfrei war als häufig angenommen.

Diese Ausgabe des Publikationsorgan des Monats steht hier als Download (PDF) bereit.

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