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Publikationsorgan des Monats: Juni '23

Subtile Dichotomie – zwischen Unterhaltungsblatt und Meinungszeitschrift

„Die Gartenlaube“ (1853-1944)

Als Ernst Keil 1852 seine neunmonatige Haft wegen „Preßvergehens“ im Landesgefängnis Hubertusburg verrichtete, kam ihm die Idee für eine Zeitschrift neuen Typus: „Die Gartenlaube – Illustrirtes Familienblatt“ war geboren. In einem Sechs-Punkte-Programm konzipierte der Verleger noch während seiner Haft die Umrisse eines Periodikums, das einerseits das noch recht junge Format illustrierter Journalliteratur aufgriff, andererseits an literarische und didaktisch-aufklärerische Traditionen der „Unterhaltungen am häuslichen Herd“ anschloss. Keil interpretierte das Bedürfnis des zeitgenössischen bürgerlichen Lesepublikums genau richtig – er hatte „für eine höchst populäre Branche bildverbreitender Presseprodukte die wegweisende Form gefunden“ (Joachim Schöberl). Nach gerade einmal dreimonatiger Vorbereitungszeit erschien die erste Ausgabe am 1. Januar 1853 als Beilage zum „Illustrirtem Dorfbarbier“. Im Gegensatz zur übrigen Publizistik der Jahrhundertmitte, die sich teils durch immense Kurzlebigkeit auszeichnete, avancierte die in Leipzig gegründete „Gartenlaube“ rasch zum führenden Massenblatt und brachte es in ihrem über neunzigjährigen Bestehen zeitweise auf eine bis dahin unübertroffene Spitzenauflage von 382.000 Exemplaren. Dabei war die „Gartenlaube“ im Geiste noch immer den vormärzlichen Tendenzen der aus liberaler Sicht „gescheiterten“ Revolution von 1848 verpflichtet. Unter dem Deckmantel einer vermeintlich unpolitischen Familienzeitschrift knüpfte Keil so an seine politischen Überzeugungen an, die zuvor Auslöser seiner Haftstrafe gewesen waren.

Die Familienblätter des 19. Jahrhunderts, die den Beginn der deutschen Massenpresse markieren, erlebten ihre Blütezeit nicht nur aufgrund günstiger wirtschaftlicher, politischer und kultureller Rahmenbedingungen zwischen der Jahrhundertmitte und dem Ende der 1870er Jahre, sondern auch, weil sie dem Verlangen des liberalen Bürgertums nach einem Einbezug visueller Elemente in die zeitgenössische Publizistik in Form eines neuen Gattungstypus nachkamen. Aufgrund eines gestiegenen Bildungsinteresses und der zunehmenden Bedeutung der Familie als Sozialisationsort des Bürgertums sollte die „Gartenlaube“ nun für breite Leserkreise rezipierbar sein. Mit einem Preis von acht Mark im Jahresabonnement war die wöchentlich erscheinende und überregional erhältliche Zeitschrift für viele erschwinglich und konnte dank gut ausgebautem Postwesen und Kolportagesystem in jedwede Ecke der deutschen Staatenwelt geliefert werden. Das Selbstverständnis des Periodikums „[zu] unterhalten und unterhaltend [zu] belehren“ evozierte dementsprechend eine Gruppen- und Familienzugehörigkeit, denn die „Gartenlaube“ wollte „ein Buch für Groß und Klein“ sein, „für Jeden, dem ein warmes Herz an den Rippen pocht, der noch Lust hat am Guten und Edlen“. Deswegen setzte ihr Verleger bewusst auf eine Emotionalisierung der Wissensvermittlung durch eine atmosphärisch-szenenhafte Gestaltung und Anordnung der Bilder und ermöglichte auf diese Weise eine leserfreundliche Verkürzung komplexer Phänomene.

Weil eine eindeutige politische Selbstverortung in der ersten Ausgabe absichtlich ausblieb, haftete der Zeitschrift lange Zeit das Bild einer biedermeierlichen Unparteilichkeit an, das das Vorurteil begünstigte, das Blatt werde ausschließlich von „höheren Töchtern“ gelesen. Dabei bot es jedoch sehr unterschiedliche Darstellungsformen und Themenbereiche für verschiedene Leserbedürfnisse an, die Keils visionäres Programm aus dem Gefängnis aufgriffen: Biographien, Aufsätze, Lyrik, Erzählungen und Novellen gehörten ebenso zum Repertoire wie Reiseberichte, medizinische und naturwissenschaftliche Erläuterungen, Ausführungen zur Heilkunde und zur deutschen Geschichte sowie das kleine Feuilleton „Blätter und Blüten“. War die „Gartenlaube“ zwar keine klassische Literaturzeitschrift, prägte sie doch manchen „Bestseller“ des 19. Jahrhunderts mit dem Abdruck von Fortsetzungsromanen. Für das verlegerische Konzept eminent waren aber besonders die zahlreichen Illustrationen, die gerade auch für analphabetische Bevölkerungsteile und die „Kleinen“ gedacht waren. Für die Abbildungen, die in den Ausgaben der „Gartenlaube“ sukzessive mehr Raum einnahmen, bediente sich die Redaktion dem preisgünstigen Reproduktionsverfahren des Holzstichs, das, anders als der zuvor weit verbreitete Kupferstich, den gemeinsamen Druck von Bild und Text ermöglichte.

Auch wenn sich die „Gartenlaube“ den Anschein einer kulturorientierten Familienzeitschrift gab, war sie alles andere als unpolitisch. Im Gegenteil: Teils implizit im Gewand des Literarischen oder Illustrativen, teils explizit in Form deutlicher Invektiven forcierte die Zeitschrift durchaus klare ideologische Positionen. Die oszillierende Haltung zwischen massenwirksamer Unterhaltung und aufklärerischer Belehrung spiegelte sich etwa in den belletristischen Beiträgen der Schriftstellerin Eugenie John wider. Die „Gartenlaube“ bot ihr eine mediale Plattform, um sich positiv zur „Frauenfrage“ zu positionieren, denn in ihren unter dem Pseudonym E. Marlitt veröffentlichten Romanausschnitten sprach sie gesellschaftskritische Themen der Frauenbildung oder geschlechtsspezifische Standesbarrieren an. Gleichzeitig leistete die Zeitschrift der Genese und salonfähigen Verbreitung des modernen Antisemitismus Vorschub, der sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts als „kultureller Code“ (Shulamit Volkov) konsolidierte. In einer Artikelserie, die ab 1874 in der „Gartenlaube“ erschien, rassifizierte der Publizist Otto Glagau die jüdische Bevölkerung als „eine physisch wie psychisch entschieden degenerirte Race“, die er mit den tradierten Stereotypen einer „jüdischen Weltverschwörung“ und des „jüdischen Wuchers“ in Verbindung brachte. Mit Blick auf die „Judenfrage“ attackierte Glagau „falsche Toleranz und Sentimentalität, leidige Schwäche und Furcht“, die die „Christen“ davon abhalten würden, die „deutsche Nation“ vor dem „höchst unheilvollen Einfluss“ der „Judenschaft“ zu bewahren. Im Zuge der Gründung des Deutschen Kaiserreichs und des „Kulturkampfs“ versteifte sich die „Gartenlaube“ darüber hinaus auf eine pro-preußische Berichterstattung.

Nach Keils Tod im Jahr 1878 konnte das Periodikum nicht mehr an seine Spitzenauflage von 1875 anknüpfen, sodass es zunehmend in die Bedeutungslosigkeit als Unterhaltungsblatt manövrierte. Seit den 1890er Jahren setzte sich der Abwärtstrend der „Gartenlaube“ weiter fort, stand sie doch in Konkurrenz zu „modernen“ Presseorganen wie der „Berliner Illustrirten Zeitung“, die die Texte mit Fotografien untersetzten. Im Jahr 1916 ging „Die Gartenlaube“ an den Pressemogul Alfred Hugenberg, der Gründungsmitglied des Alldeutschen Verbands und nach Hitlers Machtergreifung Minister für Wirtschaft, Landwirtschaft und Ernährung in dessen Kabinett war. Als Teil des Hugenberg’schen Medienimperiums wurde das Familienblatt 1933 in den nationalsozialistischen Machtapparat eingegliedert und in „Die neue Gartenlaube“ umbenannt. Während des Zweiten Weltkriegs erschien sie nur noch zweimal, später einmal monatlich. Ab dem Jahr 1944 standen die Druckerpressen in Berlin aus kriegswirtschaftlichen Gründen still und das Ende des einst erfolgreichen Familienblatts wurde, ungeachtet späterer, wenngleich erfolgloser Neuauflagenversuche in den 1970er und 1980er Jahren, endgültig besiegelt.

Als Vorläufer der modernen illustrierten Zeitschriften war die „Gartenlaube“, wie schon Schöberl konstatierte, keineswegs ein „antiquiertes Kuriosum der Unterhaltungspresse“. Vielmehr kann sie mit Fug und Recht als seismische Folie für die Genese der Massenpresse im Laufe des „langen“ 19. Jahrhunderts gewertet werden, prägte sie doch das Format des Familienblattes auf prototypische Weise, dem mannigfach nachgeeifert wurde. Kulturgeschichtlich betrachtet, reflektiert die „Gartenlaube“ wie kaum ein anderes Blatt der Zeit die sich verändernden soziokulturellen Interessen des Bürgertums seit 1850, deren Bildungsideale, Familien- und Geschlechterkonzeptionen. Trotz ihrer vermeintlich unpolitischen Selbstbezeichnung als „Familienblatt“ kristallisierten sich in ihr aber auch – oder gerade – politische Reizthemen: Kaschiert blieb das Blatt zu Beginn dem revolutionären Impetus seines Gründers verhaftet, bot in den 1860 und 70er Jahren dem (Anti-)Feminismus wie dem Antisemitismus gleichermaßen eine Bühne und übte sich im Kontext der innenpolitischen Grabenkämpfe des frühen Kaiserreichs in pro-preußischer Meinungsmache. In der Arbeitsstelle für Geschichte der Publizistik liegt das Familienblatt auf Mikrofilm zwischen 1901 und 1944 vollständig vor. Die bisher wissenschaftlich wenig beachtete, wenngleich aufschlussreiche Zeit zwischen 1853 und 1878 unter Ernst Keil lässt sich zudem anhand von digitalisierten Beständen der Deutschen Digitalen Bibliothek und des Münchner Digitalisierungszentrums nachvollziehen.

Diese Ausgabe des Publikationsorgans steht hier zum Download zur Verfügung.

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