Germania. Weltoffener Katholizismus
Als am 19. Februar 1933 die Zeitung „Germania“ lediglich mit der einseitigen Ankündigung „Drei Tage verboten!“ erschien, erhob sich von Seiten katholischer Verbände und Kirchen ein lautstarker Proteststurm. „Zum Schutz des deutschen Volkes“ und weil sie führende Regierungsmitglieder verunglimpft habe, hatte das gerade an die Macht gekommene nationalsozialistische Regime das Erscheinen des Blattes für drei Tage ausgesetzt. Auch wenn das kurzzeitige Verbot angesichts des massiven Widerstands in der katholischen Öffentlichkeit nach nur einem Tag wieder aufgehoben wurde – nach anfänglichen publizistischen Spitzen gegen das neue Regime verlor die Zeitung zusehends ihren Eigencharakter, wurde von der nationalsozialistischen „Gleichschaltung“ erfasst und versank im wirtschaftlichen Ruin. Nach genau 68 Jahren publizistischen Wirkens in Kaiserreich und Republik stellte die „Germania“ ihr Erscheinen am 31. Dezember 1938 endgültig ein.
Die „Germania“ war ein Kind der deutschen Reichsgründung. Zeitgleich mit der Bildung der „Fraktion des Zentrums“ im preußischen Abgeordnetenhaus 1870 und im Reichstag 1871 wurde sie von einer lokalen Sozietät Berliner Katholiken ins Leben gerufen, die mit dem ab Januar 1871 täglich erscheinenden Blatt die katholische Stimme im Bismarck’schen „Kulturkampf“ um den Vorrang des Nationalstaats gegenüber der katholischen Kirche und in der überwiegend preußisch-protestantisch geprägten Presselandschaft der Reichshauptstadt schärfen wollte. Die katholisch-konservative Leserschaft erwartete unter der Redaktionsleitung von Paul Majunke (1871-1878) ein Sprachrohr des politischen Katholizismus, das die Zentrumsfraktionen des Reichstags und Abgeordnetenhauses medienwirksam unterstützte. Im Gegensatz zu anderen katholischen Blättern, deren satirische Interventionen in den „Kulturkampf“ erhebliche Nachfragesteigerungen zur Folge hatten, verblieb die Auflage der „Germania“ jedoch konstant bei überschaubaren 8.000 Exemplaren – nicht zuletzt deshalb, weil sie im katholischen Elsass-Lothringen bis 1879 als „staatsgefährdend“ und „subversiv“ verboten blieb.
Mit der Entschärfung des „Kulturkampfes“ zwischen dem Vatikan und Reichskanzler Otto von Bismarck in den späten 1880er Jahren verlor auch die „Germania“ an Integrationskraft unter den katholischen Lesern; die Nachfrage sank auf etwa 4.000 Exemplare je Ausgabe. Nichtsdestotrotz blieb sie politisch einflussreich. In zunehmendem Maße nahm sie die Funktion eines direkten Presseorgans der Zentrumspartei ein. So war die „Germania“ ein wesentlicher publizistischer Austragungsort für die im Zentrum ab 1909 tobenden Richtungskämpfe um die Frage, inwieweit die parlamentarischen Aktivitäten der Fraktion mit den Grundsätzen der katholischen Kirche übereinzustimmen hatten.
Als die November-Ereignisse des Jahres 1918 das politische System Deutschlands umwälzten, passte sich auch die „Germania“ den neuen Verhältnissen an. Zwar blieb sie ihrer katholischen Grundausrichtung treu und gab sich verhalten gegenüber den revolutionären Umbrüchen, unterstützte aber den Zentrumsabgeordneten Matthias Erzberger bei seiner aktiven Friedenspolitik mit den Entente-Mächten und sprach sich für die konstruktive Beteiligung des Zentrums an den Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung aus. Da das Zentrum in Folge durchweg als regierungsbildende Partei die Weimarer Politik mitbestimmte, entwickelte sich die Zeitung zu einem staatstragenden, den politischen Extremismus bekämpfenden Parteiblatt. Ihre Auflagenzahlen schnellten überregional in die Höhe. Den „Hitler-Putsch“ im November 1923 kommentierte das Blatt verächtlich als „Rummel im Bürgerbräu“: „Es kann für uns nichts anderes geben als strikte Ablehnung aller gewaltsamen Umsturzversuche und energische Gegenwirkung gegen die verhetzende Propaganda (…). Auf diese Pflichten müssen sich gerade die Katholiken heute besinnen.“ Bei den Reichspräsidentenwahlen im Jahre 1925 appellierte sie inständig an ihre Leserschaft, die Wahl Paul von Hindenburgs zum Reichspräsidenten zu verhindern. Ausgerechnet Franz von Papen, der seit den 1920er Jahren der größte Anteilseigner des „Germania“-Verlags war und mit seinem Präsidialregime ab 1932 wesentlich zur Außerkraftsetzung des parlamentarischen System Weimars beitrug, publizierte in der letzten Ausgabe der „Germania“ ihren Nekrolog.
In der Arbeitsstelle für Geschichte der Publizistik liegt die „Germania“, die ab 1881 täglich in einer Morgen- und einer Abendausgabe erschien, als Mikrofilm vor. Der Bestand deckt den Publikationszeitraum von 1871 bis 1938 nahezu vollständig ab. Die Zeitung ist eine unverzichtbare publizistische Quelle für die Erforschung der gesellschaftlich-politischen Polarisierung während der Zeit des „Kulturkampfes“, der Parteiengeschichte des Zentrums während Kaiserreich und Weimarer Republik sowie der Ausschaltung einer vielfältigen politischen Öffentlichkeit in den Anfangsjahren der nationalsozialistischen Herrschaft.
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