Nationalliberale Obrigkeitskritik aus Köln, Berlin und der Welt im Wandel der Jahrzehnte
Publikationsorgan des Monats: „Kölnische Zeitung“ (1802-1945)
„Wie oft haben Zensoren Napoleons I. und der Preußenkönige versucht, die Freiheit und Eigenständigkeit dieser Zeitung zu zerstören: Sie sind immer wieder gescheitert“, feierte Herausgeber Kurt Neven DuMont 1962 das geistige Erbe der Ende des 19. Jahrhunderts auflagenstärksten Zeitung des Deutschen Kaiserreichs. 17 Jahre nachdem die „Kölnische Zeitung“ eingestellt worden war, setzte der DuMont-Verlag deren Namen als Untertitel in die Kopfzeile des „Kölner Stadt-Anzeigers“, welcher nunmehr die in der „Kölnischen Zeitung“ verkörperte Tradition „des deutschen Liberalismus und […] freien deutschen Journalismus“ (KStA, Nr. 197, 1962) fortführen sollte. Mitte der 1870er Jahre war der „Stadt-Anzeiger“ als regionales Beiblatt der „Kölnischen Zeitung“ ins Leben gerufen worden, um in ihm all die Werbeanzeigen unterzubringen, die den Nachrichten aus aller Welt im Hauptblatt zunehmend Platz wegnahmen. In ihm, so das Narrativ DuMonts, lebte die obrigkeitskritische Einstellung der „Kölnischen Zeitung“ – geschärft im Kampf gegen die napoleonischen Pressediktate und die preußischen Zensurmaßnahmen der Vormärz-Ära – weiter. Was war das für eine Zeitung, die auch noch im 20. Jahrhundert der Bundesrepublik eine solch mythisch überhöhte Anziehungskraft auszuüben vermochte?
Die Geschichte der „Kölnischen Zeitung“ begann in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit der „Kayserlichen Reichs Ober Post-Amts Zeitung zu Cölln“. Nach mehreren Eigentums- und Namenswechseln im Zuge der Revolutionswirren, der französischen Besetzung des linken Rheinufers 1794 und des Abbruchs der Nachrichtenwege der Reichspost erwarb die Kölner Schaubergsche Druckerei 1802 die Zeitung und benannte sie in „Kölnische Zeitung“ um. Aber erst die Hochzeit zwischen Erbin Katharina Schauberg und dem unternehmerischen Kölner Juristen Marcus DuMont drei Jahre später legte den Grundstein für den Erfolg der „Kölnischen Zeitung“ und der DuMontschen Verlegerdynastie. Marcus DuMont übernahm selbst die Redaktion der Zeitung und erhöhte rasch deren Auflagenstärke. War er Napoleon anfänglich durchaus nicht abgeneigt, geriet er spätestens 1809 mit ihm und der französischen Verwaltung des Roer-Départements in Konflikt, als er gegen die staatlich erzwungene Einstellung der „Kölnischen Zeitung“ protestierte. Auch wenn Napoleon ihm die Herausgabe eines harmlosen Anzeigenblattes und finanzielle Ausgleichshilfen gewährte – die „Kölnische Zeitung“ durfte ganz im Sinne einer staatlich gelenkten Entpolitisierung der Presselandschaft bis zum Ende der französischen Herrschaft in Köln im Januar 1814 nicht erscheinen.
In den 1820er und 1830er Jahren stieg die „Kölnische Zeitung“, die zunächst vier, ab 1829 sechs Mal die Woche erschien, zu einer überregional angesehenen Tageszeitung auf. Geschäftstüchtig baute die Verlegerfamilie ein internationales Korrespondentennetzwerk auf, sicherte sich mit berittenen Eilboten substantielle Nachrichtenvorsprünge und besetzte mit einem sonntags erscheinenden Beiblatt eine bis dahin nahezu konkurrenzfreie publizistische Marktlücke. Joseph DuMont, der die Leitung des Verlags zusammen mit seiner Mutter nach dem Tod des Vaters 1831 zwanzigjährig übernahm, steigerte die Attraktivität des Blattes nicht nur mit dem zeitnahen Abdruck von übersetzten Artikeln der Londoner „Times“, sondern auch mit der Inkorporierung eines festen Kulturteils und damit einem der ersten deutschen Feuilletons überhaupt. Den neuesten Innovationen in Technik und Nachrichtenübermittlung vertrauend, setzte Joseph ganz auf Schnelligkeit: Während er die Produktion der Zeitung auf modernste Schnellpressen umstellte, was schließlich sogar die Herausgabe einer Morgen- und Abendausgabe erlaubte, sicherten zunächst Brieftauben- und Eisenbahnverbindungen zwischen Paris, Brüssel und Aachen, später Telegraphenlinien eine ereignisnahe Berichterstattung. Früh berichtete die „Kölnische Zeitung“ daher aus aller Welt: Neuigkeiten aus Frankreich, Griechenland oder China erschienen neben Lokalnachrichten aus dem Rheinland und banden so ein breites Publikum. Noch vor der medialen Weltaneignung vor der Folie kolonialer Projekte im Kaiserreich schickte die „Kölnische Zeitung“ als erste deutsche Zeitung überhaupt in den 1870er Jahren gar einen Auslandskorrespondenten auf Weltreise. Und auch die Zeitung selbst avancierte über eine internationale Wochenausgabe, in der seit 1866 ihre wichtigsten Artikel kommentiert zusammengefasst wurden, zu einem überseeischen, von Globalisierung und Migration angetriebenen Exportschlager.
Indessen gestaltete sich das Verhältnis zu Preußen, das auf dem Wiener Kongress 1815 das Rheinland zugeschlagen bekommen hatte, schwierig. Konfessionelle Konfliktlinien einerseits, nationales Gedankengut und liberale Obrigkeitskritik andererseits brachten die „Kölnische Zeitung“ immer wieder auf Konfrontationskurs mit den staatlichen Autoritäten. Als die preußische Vorzensur die Freigabe für einen Artikel im Mai 1817 verzögerte, druckte die Zeitung auf ihrer Titelseite provokativ einen „weißen Fleck“ unter dem Titel „Deutschland“ – und entzog der Zensur, indem sie sie für ihre Leserschaft öffentlichkeitswirksam sichtbar machte, damit den Boden. 1845 berief Joseph DuMont den wegen seiner revolutionären Gesinnung vorbestraften nationalgesinnten Burschenschaftler Karl Heinrich Brüggemann zum Redakteur, der in der Folge das liberale Profil der „Kölnischen Zeitung“ akzentuierte und sie zu einem führenden Presseorgan der revolutionären Meinungsbildung von 1848/49 in den deutschen Staaten machte. Noch 1863 erklärte die preußische Regierung in ihrer vor dem Hintergrund des preußischen Verfassungskonflikts erlassenen Presseordonnanz die „Kölnische Zeitung“ zum Feind. Diese revanchierte sich und übte 1866 schärfste Kritik am Ausschluss Österreichs vom Norddeutschen Bund und Bismarcks Deutschlandpolitik.
Erst mit der Reichsgründung 1871 glätteten sich die Wogen zwischen der Zeitung und dem preußischen Staat. Das lag vor allem daran, dass die „Kölnische Zeitung“ auf den pragmatisch-reformorientierten Kurs der Nationalliberalen Partei einschwenkte, die in den ersten Reichstagswahlen stärkste Kraft wurde und in den Folgejahren staatstragend mit Bismarck kooperierte. Zunehmend verflocht sich die Zeitung mit dem politischen Betrieb in Berlin, stellte in ihrem Berliner Büro geschickt Journalisten an, die durch ihre vorherigen Tätigkeiten enge Kontakte zu den staatlichen Machtzirkeln unterhielten, und bekam regelmäßig dosierte Regierungsinterna zugespielt – was beide Seiten, politische Akteure als auch die Zeitung, für sich zu nutzen wussten. So soll die Zeitung durch einen kritischen Artikel über die Differenzen zwischen Kaiser und Kanzler mit zu der Entscheidung Wilhelms II., Leo von Caprivi zu entlassen, beigetragen haben. Bestinformiert und vielgelesen haftete ihr bald ein offiziöses Odeur an. Erst als im März 1914 der Russland-Korrespondent der „Kölnischen Zeitung“ vor der Illusion einer Freundschaft zwischen Moskau und Berlin warnte und damit einen Kurssturz der russischen Aktien samt diplomatischer Unstimmigkeiten auslöste, versiegte der diskrete Nachrichtenfluss aus den nun vorsichtiger agierenden Regierungskreisen. Der Vorfall zeigte zugleich, welches Vertrauen die „Kölnische Zeitung“ in der deutschen und europäischen Öffentlichkeit trotz (oder gerade wegen) ihrer vermeintlichen Offiziosität genoss.
Von dem anfänglich zwar sehr starken, aber mit den Kriegsjahren abflachendem Informationsverlangen der Bevölkerung konnte sich die Zeitung in der Weimarer Republik als wieder unabhängiges Blatt erholen, das nun die Politik der Deutschen Volkspartei, der demokratisch-liberalen bürgerlichen Mitte, offen unterstützte. Noch am 4. März 1933 plädierte die Redaktion mit einem expliziten Aufruf, die Nationalsozialistische Partei weder durch deren Wahl noch durch eine Wahlenthaltung zu unterstützen, für die schützenswerte Republik. Während des NS-Regimes nahm die „Kölnische Zeitung“ dann durchaus eine ambivalente Sonderrolle in der in weiten Teilen gleichgeschalteten Nachrichtenwüste ein. Zwar war der (eingangs zitierte) Herausgeber Kurt Neven DuMont Parteimitglied der NSDAP und zeigte einen ideologisch anpassungsfähigen Pragmatismus, um das Bestehen seines Kölner Verlagshaus zu sichern. Zusammen mit dem internationalen Renommee der „Kölnischen Zeitung“ erlaubte es ihm dieses geschickte Lavieren aber zugleich, sich erfolgreich gegen die Eingliederung seines Vorzeigeblattes in den „Westdeutschen Beobachter“, dem nationalsozialistischen Propagandaorgan für das Rheinland, zu widersetzen und in den Anfangsmonaten der NS-Diktatur sogar über Verhaftungen und Zeitungsverbote zu berichten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs setzten die Alliierten schließlich einen endgültigen Schlussstrich unter die „Kölnische Zeitung“, indem sie alle Zeitungen der NS-Zeit kurzerhand verboten.
Die „Kölnische Zeitung“ liegt in gedruckter Form mit Ausgaben aus den ereignisreichen Jahren 1848, 1914 bis 1918 und 1939 bis 1944 in der Arbeitsstellte für die Geschichte der Publizistik zur Einsichtnahme bereit.
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