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Publikationsorgan des Monats: November '24

Transatlantische Widerstandspublizistik im Zweiten Weltkrieg

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Danish Listening Post, 5. Januar 1944
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Inside Germany Reports, Oktober 1941
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In Re: Germany, August/September 1941
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News Flashes from Czechoslovakia, 1. März 1943
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News from Belgium and the Belgian Congo, 13. März 1943

Publikationsorgan(e) des Monats: „The Danish Listening Post“ // „Inside Germany Reports“ // „In Re: Germany“ // „News Flashes from Czechoslovakia under Nazi Domination“ // „News from Belgium and the Belgian Congo“

Die Befreiung Westeuropas von der nationalsozialistischen Herrschaft hatte mit der koordinierten Landung alliierter Truppen in der Normandie am 6. Juni 1944 gerade erst ihren Anfang genommen, da war der Danish Listening Post bereits zum Lachen zumute. Unter dem Titel „German Humor Unchanged“ lieferte die Zeitschrift gleich zwei Anekdoten. Die erste verriet viel über die Möglichkeiten des subtilen Widerstands gegen die deutschen Besatzer in Dänemark. Demnach hätten die Behörden einem Akrobaten seine Performance eines neuen Kriegs-Tanzes im Zirkus untersagt, der ganz offensichtlich von dem Erfolg des „D Day“ inspiriert gewesen sein muss: „It consisted of one step forward and two backward.“ Die deutschen Besatzer konnten der Institution tragisch-komischer Unterhaltung wohl nicht mehr viel abgewinnen. Die zweite Anekdote nahm sich ernster aus – nur, um noch deutlicher die um sich greifende Paranoia der Besatzer vor einem baldigen Herrschaftskollaps sichtbar zu machen. Ihr zufolge habe ein deutscher Polizeibeamter eine Landkarte konfisziert und ihren Besitzer, einen dänischen Schuhmacher, der „feindseligen Provokation“ („inimical provocation“) angeklagt, sei auf der Karte doch eine Südgrenze Dänemarks abgebildet gewesen, die viel zu weit in deutsches Territorium hineinreiche. Bei einer anschließenden Untersuchung sei jedoch ein peinliches Detail entdeckt worden: Die Karte habe aus dem Jahre 1644 gestammt – dem Jahr, in dem die Schweden und Niederländer in der Seeschlacht bei Fehmarn Dänemarks Vorherrschaft in der Ostsee brachen, das dänische Königreich aber noch bis an die Elbe reichte.

Bei weitem nicht alle Beiträge in der Danish Listening Post waren Grund zur Erheiterung. Die Berichterstattung des im zweiwöchigen Rhythmus von der New Yorker „National America Denmark Association“ herausgegebenen Blattes war dafür zu sehr von den Nachrichten über Gestapo-Terror, Untergrundaktionen, Sabotageakte, deutsche Vergeltungsaktionen und Exekutionen von dänischen Widerstandskämpfern gezeichnet. Wie viele andere englischsprachige Zeitschriften in den Vereinigten Staaten, die, unter Duldung oder Förderung der amerikanischen Regierung und von international vernetzten Exilvereinigungen, bekannten Intellektuellen, politischen Aktivisten und Emigranten geführt, der nationalsozialistischen Herrschaft in den besetzten Staaten den Kampf angesagt hatten, verfolgte die Danish Listening Post sechs Ziele: die Verbrechen des Besatzungsregimes transparent machen; ihre Propaganda dekonstruieren; die Besatzung als fragil porträtieren; den lokalen Widerstand medial flankieren; das amerikanische Kriegsengagement publizistisch forcieren; und mit mehr oder weniger konkreten Plänen eine jeweilige nationale Zukunft nach der Befreiung politisch vorbereiten. Trotz aller Ähnlichkeiten verfolgten die einzelnen Zeitschriften und die hinter ihnen stehenden Gruppierungen allerdings ihre ganz eigenen politischen Agenden.

Eine Sonderrolle unter diesen Zeitschriften nahm sicherlich das Blatt Inside Germany Reports ein. Es zielte auf eine revolutionär-sozialdemokratische Umgestaltung der eigentlichen Keimzelle von Krieg, Terror und Unterdrückung in Europa: Deutschland. Hinter ihrer Herausgabe stand die einflussreiche und etwa mit Reinhold Niebuhr prominent vertretene Organisation „American Friends of German Freedom“. Die in New York angesiedelte Vereinigung hielt enge Kontakte zu der überwiegend kommunistisch geprägten Widerstandsgruppe „Neu Beginnen“, die seit 1933 in Deutschland den Kampf gegen das NS Regime aus dem Untergrund aufgenommen hatte. Die Beiträge der Zeitschrift stammten nicht selten direkt aus den Meldungen der Bewegung, übermittelt von dem zwischen Deutschland, Österreich und den USA hin- und herpendelnden Aktivisten und Psychoanalytiker Karl Borromäus Frank. Die vielen Stimmungsbilder aus der Arbeiterschaft, den Fabriken und Arbeitervierteln entsprachen der politischen Ausrichtung der „American Friends“ und sollten das Bild eines brutalen Unterdrückungsregimes zeichnen, das mit seiner Innen- und Außenpolitik die Arbeiterschaft in desaströse Lebensverhältnisse stürzte. Allein die Oktober Ausgabe von 1941 wartete mit den Worten eines anonymen Berliner Arbeiters auf, Deutschland sei bald „one big concentration camp“, und offerierte ihrer Leserschaft den Auszug eines Briefes einer Kölner Arbeiterfrau, die die Arbeitsbedingungen in den Kölner Werken mit dem soldatischen Leben in den Schützengräben an der Front verglich.

Da der seit 1939 tobende Krieg auf dem Kontinent auch die transatlantischen Informationsströme der „Neuen Bewegung“ in die USA beeinträchtigte und der Druck der Inside Germany Reports deshalb nicht kontinuierlich aufrecht erhalten werden konnte, verlegten sich die „American Friends“ zudem auf die Herausgabe eines monatlichen Rezensionsjournals, das unter dem Titel In Re: Germany alle international neu erschienenen Bücher und Fachaufsätze zu Deutschland zu besprechen gedachte. Über die Leerstellen der schlechten Nachrichtenlage sollte eine Mischung aus historischem, politischen und kulturellen Hintergrundwissen hinweghelfen. Mit rezensierten Büchern wie „Hitler and Wagnerism“, „Russian and German Nihilism“, „From Luther to Hitler“ und „Napoleon and Hitler“ sollten die vermeintlich weit in die Vergangenheit reichenden kulturpolitischen Urgründe des Nationalsozialismus ans Licht gebracht werden. Ab 1944 dominierten in Antizipation einer deutschen Niederlage schließlich Buchbesprechungen, die sich dem Ende des Ersten Weltkriegs und den Vor- und Nachteilen der Versailler Friedensordnung von 1918/19 annahmen. Mit der Berufung auf die „Geschichte als Lehrmeisterin“ konnten so Planspiele für einen reliablen Frieden nach dem Sieg über Hitler-Deutschland diskutiert werden.

Auch dem „Czechoslovak National Council of America“ ging es mit seiner vierseitigen Zeitschrift News Flashes from Czechoslovakia under Nazi Domination (The news which is coming through in spite of Nazi censorship!) um ganz konkrete Nachkriegsziele. Nachdem die Tschechoslowakei im Münchener Abkommen 1938 das Sudetengebiet an Deutschland abtreten musste, sich auf deutschen Druck hin der Slowakische Staat von ihr abspaltete und im März 1939 die Gebiete der Resttschechei zum „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“ unter deutsche Besatzung gestellt wurden, arbeitete der „Council“ unter Führung seines Vorsitzenden Jaroslav Josef Zmrhal und in Kooperation mit der tschechoslowakischen Exilregierung in London daran, die Forderung eines wieder vereinheitlichten tschechoslowakischen Nachkriegsstaates gegenüber Aufteilungsplänen medial am Leben zu erhalten. Zmrhal, in den 1920er Jahren Rektor der Herzl-School in Chicago und späterer Universitätsdozent, war kein unbeschriebenes Blatt. Schon im Ersten Weltkrieg hatte er sich im Rahmen der anti habsburgischen Nationalbewegung für die Souveränität Tschechiens und die Unterstützung der Vereinigten Staaten eingesetzt. „Czechoslovakia or Czecho-Slovakia?“ fragte ein kurzer Beitrag in den News Flashes 1943, um die subtile Tilgung der geforderten Einheit von Böhmen, Mähren und der Slowakei durch die Verwendung des Bindestrichs in der nationalsozialistischen Sprachregelung aufzudecken: „[E]veryone of us helps to spread this German propaganda not in big but in little things that can be dangerous because they are not immediatley noticed. […] [E]very time we write the name as Czecho-Slovakia instead of Czechoslovakia, we are spreading German propaganda.”

Wieder eine andere Richtung schlug die deutlich aufwendiger gestaltete und mit vielen Fotographien aus der Kolonie versehene Zeitschrift News from Belgium and the Belgian Congo ein. Unter Leitung des „Belgian Information Center“ in New York zielte sie darauf ab, die Legitimität der belgischen Exilregierung in London publizistisch zu untermauern und den belgischen Kolonialbesitz in Afrika auch über den Krieg hinaus abzusichern. Der deutsche Überfall auf das neutrale Belgien im Mai 1940 mündete rasch in der belgischen Kapitulation und der Gefangennahme König Leopold III. durch die Nationalsozialisten. Die Zeitschrift bemühte sich, allerhand Anschuldigungen zurückzuweisen, die belgische Regierung und ihr Militär hätten nicht ausreichend Widerstand gegen den deutschen Angriff geleistet. „It is now clear that she did her duty in full measure”, proklamierte sie 1943 unter dem programmatischen Titel „‘Little Belgium‘ – a Big Country“, und wurde nicht müde, auf die vielfachen Anstrengungen hinzuweisen, die der belgisch verwaltete und auf Seiten der Alliierten stehende Kongo für deren Kriegsführung unternahm. Tatsächlich erhielten London und Washington wichtige Kriegsrohstoffe wie Kupfer, Gummi, Palmöl und Holz aus der einzigen belgischen Kolonie. Selbst das Uran des amerikanischen Atombomben-Projekts stammte dorther. Nach dem Sieg der Alliierten gegen die Achsenmächte auf den nordafrikanischen Kriegsschauplätzen im Mai 1943 befleißigte sich die Zeitschrift, eventuellen Afrika-Plänen ohne einen belgisch verwalteten Kongo strategisch entgegenzuwirken. Aktiv arbeitete es an der Glorifizierung der belgischen Kolonialherrschaft mit, die nach der systematischen Gewaltherrschaft in der einstigen Privatkolonie Leopolds II., die bis 1908 andauerte, nun als zivilisatorische Großleistung eines „kleinen“ europäischen Staates erzählt wurde. Unterm Strich galt die Rechnung: Je größer die alliierte Kriegsbeteiligung Belgiens öffentlichkeitswirksam hervorgekehrt werden konnte, desto eher ließen sich der Kolonialbesitz, aber auch Reparations- und Annexionspläne, wie sie die belgische Regierung ab 1945 für deutsche Grenzgebiete vorlegte, später rechtfertigen.

Alle genannten Zeitschriften sind im gut erhaltenen Original für ausgewählte Zeiträume ihres Erscheinens in der Arbeitsstelle für Geschichte der Publizistik einsehbar. Ähnliche, in Amerika erschienene Blätter, wie Free France oder Germany To-Day, sind ebenfalls Teil des Bestands. Sie geben Auskunft über die publizistischen Widerstands- und Unterstützungspraktiken nationaler Exilvereinigungen, die aus Amerika heraus das mediale Begleitprogramm für den Befreiungskampf gegen die nationalsozialistischen Besatzer im Zweiten Weltkrieg orchestrierten. Auf einer Ebene jenseits der Berichterstattung lassen sich in ihnen je nach Kontext immer auch revolutionäre, nationale oder koloniale Zielsetzungen analytisch fassen, die schon ganz im Zeichen einer noch zu formenden Nachkriegsordnung standen.

Diese Ausgabe des Publikationsorgans steht hier zum Download (als PDF) zur Verfügung.

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